Der Geist der Madame Chen

Amy Tan

Seiten: 539
Verlag: Goldmann Verlag
ISBN-Nummer: 2005

"Im Land des Zaubers kann Magie Wirklichkeit werden. Aber nur, wenn wir daran glauben."

Die Menschen in Burma glauben an Magie, und das wird einer amerikanischen Reisegruppe zum Verhängnis. Dass einer von ihnen, der 15-jährige Rupert, als wiedergekehrte Gottheit erkannt wird, beschert den Touristen eine ganz besondere Art, das Land kennenzulernen, unfreiwillig zwar, aber niemandem zum Schaden.

Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von Madame Chen, die die Gruppe ursprünglich leiten sollte, aber kurz vor der Abreise überraschend verstarb. Sie begleitet die Reise dennoch, als Untote, beobachtet und beeinflusst, soweit möglich, die Geschehnisse.

„Wieder schwiegen alle. Die Flammen des Lagerfeuer beleuchteten ihre Gesichter von unten, so dass ihre Augen wie dunkle Höhlen wirkten. Ich fand, sie sahen aus wie Geister, was aus meinem Munde natürlich absurd klingt. Viele stellen sich vor, dass die Toten genauso unheimlich aussehen, aber das ist Quatsch. Ich sehe kein bisschen anders aus.“

Es macht Spaß, die Geschichte immer wieder von der „allwissenden“ Madame Chen erläutert zu bekommen, der Leser weiss also genauso viel wie sie. Es wäre schön, man hätte diese Weisheit manchmal auch im echten Leben.

„Fräulein Rong übersetzte das für den Chefkoch in Mandarin: ‚Sie möchten keinen Hund essen, aber sie wüssten gerne, ob Sie das berühmte Gericht aus der Yunnan-Küche servieren, Drache trifft Löwe.‘ Der Koch bedauerte, mitteilen zu müssen, dass ihnen in letzter Zeit kein frisches Schlangen- oder Katzenfleisch geliefert worden war. Doch seine Frau warf ein, sie würden ihnen gerne ihr bestes Gericht servieren. Das entpuppte sich als etwas, das so ähnlich wie Schweinefleisch aussah, aber auch Huhn hätte sein können, mit zweimal aufgewärmtem Reis als Beilage. Auf allem waren unsichtbare Kakerlakenbeine verstreut, die überzogen waren mit kleinen Mikroben, die sich von menschlicher Darminnenwand ernährten. Dieser plat du jour wurde mit diversen Flaschen warmen Biers und Cola heruntergespült.“

Die Folge dieses kulinarischen Ausflugs, der sich während des ersten Teils der Reise in China abspielt: eine Woche später wird der Großteil der Gruppe die Ruhr erleiden. Auch eine interessante Erfahrung.

„Der Geist der Madame Chen“ ist ein unterhaltsames, zum Schmunzeln animierendes Buch über unterschiedliche Perspektiven – die der Lebenden und der Toten, der Männer und Frauen, aber auch der Reisenden und der Eingeborenen.

Es ist ein Buch, das die Aufmerksamkeit auf ein nahezu vergessenes Land richtet: der Leser erfährt viel über Burma, das heute Myanmar heisst, und über das Militärregime dort. Leider hat Amy Tan dem Schrecken dieser Herrschaft die weichgespülte Harmonie der Reisegruppe gegenübergestellt, als wäre der Leser von zu viel Streit und Diskussion überfordert. Dass der Zusammenhalt der Gruppe so gar nicht bröckelt und Diskussionen über das weitere Vorgehen oder über den Führungssanspruch eine Ausnahme bleiben, ist reichlich unrealistisch. Dafür werden menschliche Entzweiungen (stets harmonisch, versteht sich) psychologisch einleuchtend nachgereicht.

Dass das Buch aber dadurch einfach eine schöne Geschichte erzählt, macht es auch ein klein wenig liebenswerter. Und ebenso wie der Reisegruppe wachsen einem die „Aufständischen“ ans Herz, die versteckt in den Bergen leben. Und an Geister glauben. Und an wiederkehrende Götter.

Und nachdem man dieses schöne Buch gelesen hat ist man geneigt, all dem auch ein klein wenig mehr Glauben zu schenken.

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