Alte Sorten

Ewald Arenz

Seiten: 255
Verlag: Dumont Buchverlag
Erscheinungsjahr: 2019
ISBN-Nummer: 978-3-8321-6530-7

Manchmal, ganz selten, lese ich ein Buch, von dem ich mir wünschte, ich hätte es selbst geschrieben. Diese Sprache! Diese Leichtigkeit! Diese Selbstverständlichkeit, mit der eine Geschichte erzählt wird - das liest sich, als wäre es ganz einfach gewesen, es zu schreiben. Dabei ist es genau das nicht - weshalb auch nicht ich sondern Ewald Arenz dieses tolle Buch verfasst hat (leider, bzw. zum Glück).

Wieder eine Freundschaftsgeschichte, wieder zwischen einem jungen Menschen und einer erwachsenen Person – wie auch in „The Offing“. Doch die Geschichte von Liss und Sally packt mich von der ersten Seite, von der ersten Begegnung der beiden und lässt mich bis zum Schluss nicht mehr los. Es ist – mal wieder – ein Fünf-Sterne-Buch, das mich tief berührt und lange nach dem Lesen nachhallt.

Sally ist aus der Klinik abgehauen, wieder einmal. Sie hat kein Ziel, als sie in einem Weinberg Liss begegnet, die mit dem Hänger ihres Traktors festsitzt. „Kannst Du eben mit anfassen?“ fragt sie das Mädchen.

“Die Frage war so unvermittelt gekommen, dass Sally zusammenschrak. Dabei war sie völlig ruhig gestellt worden, wie eine echte Frage, ohne eine Aufforderung. Keine Frage in der – so wie eigentlich immer – schon ein Befehl steckte. ˋMagst Du mir nicht ein bisschen helfen?´ ˋMagst Du nicht ein bisschen essen?´ (…) Das waren die Scheißfragen, auf die man jedes Mal antworten musste: Nein. Mag ich nicht. Ich tu es, weil ihr stärker seid als ich. Weil ihr bestimmen könnt. Weil ihr aus irgendeinem Grund machen könnt, dass ich für Euch irgendwas tun muss. (…) Es war eine echte Frage.“

Liss bietet Sally an, auf ihrem Hof zu bleiben. Und Sally bleibt. Niemand findet sie. Sie ist abgeschnitten von der Welt, ohne Handy, raus aus der Stadt, fern von Menschen. Nur Liss, die sie einfach lässt. Sie backen Brot, pudern Bienen, klauben Kartoffeln und ernten Birnen – Sally fügt sich in das Leben und die Arbeiten auf dem Hof ein. Das verändert sie – und es verändert Liss. „Wer ist diese Frau?“, fragt sich Sally oft, „warum lebt sie allein?“

Dabei ist es nicht nur Sally, die sich schwer tut mit dem Leben. Was ihr jedoch zunächst nicht klar ist. Bis es fast zu spät ist.

“Alte Sorten“ ist nicht nur ein Buch über Freundschaft. Es ist auch eine Geschichte über das pure Leben, ohne digitale „Zwänge“. Arenz lenkt den Blick auf das Wesentliche: Das Licht des Tages, das Gefühl von Sonne auf der Haut, das „sanfte Gackern der Hühner, (…) das sich immer so friedlich anhört. Die gegenseitige Versicherung, das alles in Ordnung sei; immer und immer wieder.“ Den Geschmack von Birnen.

“Sie nahm wieder den Teller von der Schüssel, klaubte mit den Fingern ein Stück Birne heraus und steckte es in den Mund. Sie schmeckte süß und nach einem sanften Gewürz, das Sally nicht kannte. Sie frage sich, ob es in der Birne war oder ob Liss den Obstsalat gewürzt hatte. Sie nahm ein Stück Apfel. Der schmeckte ganz anders, und sie probierte die Birne noch einmal. Vielleicht lag es auch daran, dass sie seit gestern Morgen nichts gegessen hatte, aber die Birne schmeckte besonders. Sie pickte sich eine Walnuss heraus. Die schmeckte einfach nach Walnuss und Honig. Sally trank einen Schluck lauwarmen Tee. Sie mochte, wie die Bitterkeit sich erst mit dem Honiggeschmack vermischte und es danach einfach klar und herb in ihrem Mund wurde. Hastig deckte sie die Schüssel wieder ab und stand auf.“

Ein Buch, das ich am liebsten sofort allen, die gerne lesen, empfehlen will: Es ist einfach wunderbar! Es wird sehr verdient einen Platz auf meinem 5-Sterne-Buchstapel bekommen.

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