Nacht über Algier

Yasmina Khadra

Seiten: 397
Verlag: Aufbau-Verlag
Erscheinungsjahr: 2006
ISBN-Nummer: 978-3-351-03064-3

Auch so eines der Bücher, die seit Ewigkeiten im Regal darauf warten, gelesen zu werden. „Nacht über Algier“ hatte gute Bewertungen, als es 2006 auf deutsch herauskam - ich war neugierig und habe es gemacht, wie manchmal beim Essen: Das Beste auf dem Teller wird zum Schluss gegessen. Aber wie es oft ist, bei hohen Erwartungen: Sie können nur enttäuscht werden.

Dabei wäre „enttäuscht“ in diesem Fall wahrlich zu viel gesagt. „Nacht über Algier“ ist schlicht nicht der Page-Turner, den ich erwartet hatte. Gleichwohl ist es ein interessanteres, kluges Buch, das den Blick auf ein Land lenkt, mit dem zumindest ich mich zuvor noch nie eingehender befasst habe.

Kommissar Brahim Llob hat bei der algerischen Polizei ein solides Standing. Was mich als Leser immer wieder in Erstaunen versetzt hat, denn er scheint der einzige Protagonist dieses Buchs zu sein, der nicht bereit ist, bei Verrat und Korruption mitzumachen.

„´Ehrlich, Brahim, was reitet dich eigentlich immer, dir solche Scherereien aufzuladen?`

´Sagen wir, dass ich eine etwas andere Vorstellung von Anstand habe als du.`“

Vielleicht dient er als Alibi, dass die Polizei eine weiße Weste habe – ihr Ansehen zumindest ist hoch. Doch artikuliert wird das in dem Buch so nicht.

Brahim Llob gerät in einen Fall aus der Vergangenheit, aus der Zeit kurz nach der Unabhängigkeit, als ethnische Säuberungen stattfanden und Menschen verschwanden. Sein Inspekteur gerät in Verdacht, einen Anschlag auf einen Nationalhelden begangen zu haben – um seine Unschuld zu beweisen ermittelt Llob. Und erregt die Gemüter der Oberen, der Mächtigen.

“´Man sagt dem Henker nicht, dass er sich die Augen zubinden soll, dir muss ich das doch nicht erklären. Du weißt selber, wie das Land funktioniert. Ein Wink, und mit unserer tollen Karriere ist es aus und vorbei; sogar unser Leben hängt nur von einem kurzen Anruf ab. (…) Es gibt keine Charta und keine Verfassung, weder Gesetz noch Recht. Wie dienen nicht einem Land, sondern ein paar Männern. Wir sind von ihren Stimmungen abhängig und richten uns nach ihrem Willen. (…) Und du, Brahim, du hast keinerlei Chance, es mit Haj Thobane aufzunehmen, und wenn du dich noch so aufplusterst. Er ist ein Zaim, der macht Regen und Sonnenschein, wie es ihm gefällt, ob dir das nun passt oder nicht. Wenn er bei den Lügenmärchen über seine großartige revolutionäre Vergangenheit unseren Blicken standhält, ist er keine miese Ratte, sondern dann heißt das im Gegenteil, dass viele von uns ihm in Sachen Moral kaum nachstehen.´“

Seine Rechtschaffenheit ist das einzig sympathische an Brahim Llob – und damit ist er auch der einzige halbwegs sympathische Charakter des Buchs. Die Geschichte, die nicht wirklich ein Krimi ist, sondern eine Mischung aus Ermittlungsfall und Geschichtsroman, spielt in einer deprimierenden Atmosphäre, in einem Land, von dem nach der Lektüre kein guter Eindruck bleibt.

Das macht aber gleichzeitig den Reiz des Buchs aus: Etwas über ein fremdes Land zu lernen, eine fremde Kultur. Ein fremdes System. Geschrieben von einem, der es kennt.

Yasmina Khadra ist das Pseudonym eines algerischen Autors, der einst hoher Offizier in der algerischen Armee war, bevor er mit seiner Familie nach Frankreich ins Exil ging. Er webt eine Geschichte, die komplex und doch schlüssig ist, die – und damit ist lange Zeit nicht zu rechnen – so überraschende Wendungen bringt, dass das Lesen doch Spaß macht, und deren Ende konsequent ist. Kein schönes Buch. Kein Wohlfühlbuch. Aber eines, das den Horizont ein klein wenig erweitert. Und das trifft wahrlich nicht auf alle Bücher zu.

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