Das große Los

Meike Winnemuth

Seiten: 329
Verlag: Penguin Random House
Erscheinungsjahr: 2013
ISBN-Nummer: 978-3-328-10268-7

Vor diesem Buch habe ich mich lange gedrückt. Und nach Beginn des Lesens, auf Seite 16, hasse ich es, wie erwartet. Nur: Warum eigentlich? Ich muss mir eingestehen, dass es der pure und blanke Neid ist. Ich will auch auf Weltreise gehen! Ich will auch in zwölf Städten leben, ein Jahr lang Zeit und Geld dafür haben! Am schlimmsten und quälendsten ist der Satz im Vorwort auf Seite 8: "Das Geld von Jauch hätte ich gar nicht gebraucht."

Worum geht es? Meike Winnemuth ist Journalistin, sie schreibt unter anderem für das SZ-Magazin und hat schon öfter persönliche Herausforderungen beschrieben, denen sie sich gestellt hat, zum Beispiel ein Jahr lang das gleiche Kleid zu tragen oder sich ein Jahr lang jeden Tag von etwas zu trennen, um Ballast abzuwerfen.

Bei „Wer wird Millionär?“ gewinnt sie Dank des Publikumsjokers 500.000 Euro. Und entscheidet, ein Jahr lang je einen Monat in einer anderen Stadt zu leben. Das ist natürlich mit sehr viel „Me, Myself and I“ verbunden und ich finde es unerträglich. Bis ich mich frage: Lesen sich meine Reiseblogs wirklich anders? Man erzählt von seinen Erlebnissen – da lässt sich ja die eigene Perspektive kaum vermeiden.

Meike Winnemuth ist angstfrei und zugewandt. Sie lässt sich auf Menschen und Situationen ein. Das ermutigt, zumindest etwas „wohlwollender“ durch diese Welt zu gehen, als viele Menschen – mich eingeschlossen – dies tun. Aber: Sie findet sich selbst schon auch sehr toll.  Und das nervt dann doch, auch jenseits des Neids.

„Gestern zum Beispiel war ich in einem gastronomischen Buchclub, über den ich in einem Stadtmagazin gestolpert bin. Zuhause hätte ich gesagt ‚Das wäre mal ganz nett, nur…‘ und hätte es auf den großen Irgendwann-mal-Stapel gepackt, der, wie die Lebenserfahrung lehrt, in Wahrheit ein Niemals-Stapel ist. Hier habe ich sofort zum Telefon gegriffen und mir damit einen todschicken Abend beschert.“

Aber: jede und jeder, der schonmal länger – und nicht nur“ urlaubsmäßig“ gereist ist, findet sich in Winnemuths Erzählungen wieder. Das Neue, das Aufregende, das sich-auf-etwas-einlassen, das „Zuhause-nicht-vermissen“ und die Fragen: Was kommt eigentlich danach? Wie will ich leben?

Winnemuth erzählt ihre Erlebnisse in zwölf Briefen. Auch das mochte ich eingangs nicht, fand es banal. Doch als sie im Verlauf auch einen Brief an ihren Publikumsjoker schreibt, und sogar an ihr jüngeres Ich, bin ich auch damit versöhnt.

Was es etwas schwierig macht, diese an sich ja großartige Erfahrung nachzumachen – auch ohne Jauchs Geld – ist der Job. Winnemuth kann von überall aus ihre Kolumnen schreiben – auch darum beneide ich sie. Nicht nur des Geldverdienens wegen, sondern auch, weil sie eine Aufgabe hat. Und weil dieser Job ihr auch noch die Möglichkeit eröffnet, Leser-Aufträge zu erfüllen: Leserinnen und Leser schreiben ihr, wo sie hingehen, was sie besorgen oder wen sie besuchen soll. Das ist toll!! Ich würde das alles sofort genau so machen. *Neid*

Es ist jedoch nicht alles rosig in dem einen Jahr, in Mumbai etwa.

„Ich saß da oben frisch geduscht in meiner luxuriösen kleinen Seifenblase und starrte auf die Wirklichkeit hinunter. Und dachte fuck. Fuckfuckfuck. Ich will da nicht raus. Ich habe hier nichts zu suchen. Ich habe mich komplett und total und mit jeder Faser fehl am Platz gefühlt, das war eine sehr physische Reaktion, so was habe ich noch nie erlebt.“

Und Winnemuth schildert auch, was es heißt, dauernd unterwegs zu sein – also fern der Menschen, die man liebt.

„Denn das ist das Harte am Reisen: Es ist kein Leben. Das Glück der Freiheit und der Fremde bedeutet den Verlust von Zugehörigkeit und Nähe und Kontinuität. (…) Ich will mal wieder ein Zuhause, dachte ich, ich will endlich wieder einen Garten. (…) Ich will mich nicht ständig verabschieden müssen und ich will nicht immer wieder von Null anfangen. Ich will, ohne Licht zu machen, nachts zum Kühlschrank finden, ich will von der Bäckereiverkäuferin ‚Wie immer?‘ gefragt werden. Ich will Verantwortung und Verpflichtung.“

Und doch wird deutlich: Man muss etwas tun für seine Erinnerungen. Winnemuth gibt den Tipp, das Leben von hinten zu denken: Was möchte man mal getan haben, worauf möchte man zurückblicken können? George Clooney sagte mal in einem Interview, man solle sich frage, was man am Ende des Lebens bereuen würde, es nicht getan zu haben – das finde ich einen sehr guten Ansatz (und habe schon danach gehandelt).

„Das große Los“ bekommt von mir drei Sterne, weil so viel Wahres und Ermutigendes darin steht, weil der Appetit auf’s Reisen kommt (auch deshalb hatte ich Angst, es zu lesen und hab es deshalb vor einer Reise angefangen), weil einem deutlich wird, dass man sich meist doch immer nur selbst im Weg steht. Und einen halben Stern gibt es quasi als „Entschuldigung“ für all meinen Neid. Er ist am Ende des Buchs verflogen. Man hat es ja letztendlich selbst in der Hand 🙂

„Etwas finden, was man nicht gesucht hat, darum geht’s beim Reisen.“

 

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