Stay away from Gretchen – Eine unmögliche Liebe

Susanne Abel

Seiten: 521
Verlag: dtv
Erscheinungsjahr: 2021
ISBN-Nummer: 978-3-423-22014-9

Ich hatte etwas ganz anderes erwartet! Hinter dem etwas kitschigen Untertitel „Eine unmögliche Liebe“ vermutete ich die Geschichte zweier Frauen, die sich wegen gesellschaftlicher Ressentiments nicht lieben durften. Weit gefehlt. Hier erzählt Susanne Abel zwar von Ressentiments. Die Personen, die davon betroffen waren, standen bislang jedoch kaum im Fokus von Literatur oder medialer Berichterstattung.

Greta ist kurz vor ihrem 85. Geburtstag. Sie ist rüstig, lebt noch alleine und ihr Sohn, der bekannte Nachrichtenmoderator Tom, kümmert sich gut um sie. Doch Greta wird vergesslich. Demenz macht sich breit, und sie vergisst nicht nur, dass sie gerade das Badewasser angestellt hat, sondern auch, was sie ihr Leben lang im Verborgenen hielt, tief in sich drin, vor der Umwelt und vor ihrem Sohn.

“Tom bestellt am Tresen einen Kaffee für sich, und für seine Mutter Pommes Spezial. Während er wartet, beobachtet er Greta. Noch nie hat Mam von ihrer Heimat geredet. Immer hat sie so getan, als wäre sie in Heidelberg geboren. Als er sie 2001 zu ihrem siebzigsten Geburtstag mit einer Reise nach Ostpreußen überraschte, ist sie regelrecht ausgeflippt. Doch nicht aus Freude, wie er es erwartet hatte, sondern vor Wut und hat sich jedes Gespräch darüber verbeten.“

Gretas Geschichte wird aus ihrer eigenen Perspektive erzählt – als Sprung in die Vergangenheit, die Kindheit in Ostpreußen, die Begeisterung für Adolf Hitler, dann die Flucht vor den Russen und die Jugend in Heidelberg. Und aus der Perspektive von Tom, der dieser Geschichte allmählich auf die Spur kommt. Der erfährt, wer die große Liebe seiner Mutter war, und warum sie viele Zeiten während seines Heranwachsens in Depressionen versunken in abgedunkelten Räumen verbrachte.

“Gertas Herz schlug bis zum Hals. Sie spürte Bob neben sich. Sein warmer Duft aus Zigarettentabak und Old Spice legte sich über die Bügeldämpfe, und ein Kribbeln durchzog ihren gesamten Körper. Die beiden vermieden es, sich anzusehen, aus Angst, ein Blick könnte sie verraten. Keiner, nicht einmal Fine, durfte wissen, dass sie seit dem vergangenen Sommer miteinander gingen – Gretas Angst war groß, dass ihre Familie bei aller Sympathie für den Amerikaner gegen die Verbindung wäre.“

Die Sorge ist berechtigt. Ich will nicht spoilern, um den Lesespaß nicht zu trüben – denn dieses Buch ist absolut lesenswert und ja, trotz der ernsten Geschichte macht es Spaß, es zu lesen. Die Charaktere sind liebenswert, wenngleich Tom als berühmter Fernsehmensch für meinen Geschmack etwas zu klischeehaft gezeichnet ist.

Susanne Abel gibt Einblicke in gleich mehrere Welten: Die der Demenzerkrankung und deren Folgen. Die der Kriegszeiten, und vor allem die der Nachkriegszeit, als die Gesellschaft noch unter dem Eindruck des Nationalsozialismus stand und selbst die Befreier geächtet wurden, wenn es sich um dunkelhäutige GIs handelte. Welche Ausmaße diese Ächtung annimmt, das ist die eigentliche, erschütternde und bislang weitgehend unbekannte Geschichte, der ich hier nicht vorgreifen will. Deshalb: Lesen!

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