Zusammen ist man weniger allein

Anna Gavalda

Seiten: 551
Verlag: Fischer Taschenbuch
Erscheinungsjahr: 2006
ISBN-Nummer: 978-3-596-17303-7

Nach „Moby Dick“ ist dies das zweite Buch, das ich im Rahmen des Lesekreises lese. Zum Glück ist „Zusammen ist man weniger allein“ viel schöner. Den Großteil habe ich in zwei Tagen gelesen -das spricht für sich.

Erst mit „22 Bahnen“ hatte ich kürzlich ein Buch gelesen, das sich warm anfühlte. Nach Freundschaft und Geborgenheit. So ein Gefühl stellt sich auch beim Lesen von „Zusammen ist man weniger allein“ ein – wie der m.E. schlecht übersetzte Titel schon vermuten lässt. „Ensemble c’est tout“ lautet der viel schönere Originaltitel, der sich aber vielleicht auch wirklich nicht treffend ins Deutsche übertragen lässt. Vielleicht sowas wie: „Gemeinsam: komplett“? Oder, etwas freier: „Wir brauchen nur uns“?

Es kommen nur vier Personen vor in diesem Werk von Anna Gavalda: Camille ist 26, künstlerisch unfassbar begabt, hat aber die Künstlerei an den Nagel gehängt und putzt nun nachts in einem Bürogebäude. Sie haust – anders lässt es sich nicht bezeichnen – in einer kleinen Dachkammer, wohin sie eines Tages Philibert einlädt, im gleichen Haus wohnhaft, Anfang 30. Er ist historisch bewandert, adelig, sehr schüchtern und stottert, deshalb verkauft er für die Stadt Postkarten, anstatt sein enormes Wissen als Lehrer weiterzugeben.

Franck lebt seit einiger Zeit bei Philibert, der für seinen Vater eine Wohnung hüten soll, bis die Erbengemeinschaft sich über das weitere Vorgehen geeinigt hat. Franck ist gutaussehend, verschlossen, motorradverliebt, ein exzellenter Koch, der sich aber an sechs Tagen die Woche aufarbeitet und am siebten seine geliebte Großmutter Paulette besucht.

Paulette kann nach einem Sturz und den zunehmenden Alterserscheinungen nicht mehr allein zu Hause leben und muss ins Heim. Ein Umstand, über den sich Franck grämt und den ihm Paulette vorwirft.

Aus den vieren wird auf Umwegen eine Wohngemeinschaft. Zunächst mit Schwierigkeiten, klar: Camille und Franck sind grundverschieden und können sich nicht sonderlich leiden. Philibert steht zwischen ihnen, ihn mögen beide sehr.

“´Du hast nicht zufällig den Schlüssel zur Hintertür gesehen?` fragte sie schließlich. ´In meiner Tasche.` Sie seufzte. ´Gib ihn mir.` ´Nein.` ´Warum nicht?` ´Weil ich nicht will, daß du gehst. Ich verschwinde. Wenn du nicht mehr da bist, ist mir Philibert bis ans Ende seiner Tage böse. Vorhin schon, als er den Karton sah, hat er mir die Hölle heiß gemacht, er ist seitdem nicht mehr aus seinem Zimmer gekommen. Deshalb ziehe ich aus. Nicht deinetwegen, sondern seinetwegen. Das kann ich ihm nicht antun.`“

70 Seiten später findet ein ganz ähnlicher Dialog statt, wieder in der Küche.

“´Ich finde, du solltest bleiben. Ich finde, alles, was du mir im Zusammenhang mit meinem Auszug und Philibert gesagt hast, gilt auch für dich. (…) Bleibt hier.` ´Nein … Ich … ich bin anders als ihr. Man packt nicht Geschirrtücher und Frottee zusammen, wie meine Oma sagen würde.` ´Wir sind verschieden, das stimmt, aber bis wohin? Vielleicht sehe ich ja falsch, aber ich habe den Eindruck, wir sind ein gutes Team Schwergebeutelter, oder? (…) Das ist Blödsinn, deine Geschichte von den Geschirrtüchern und dem Frottee. Was die Leute davon abhält, zusammenzuleben, ist ihre Dummheit, nicht die Verschiedenheit.`“

Eingangs habe ich mich noch gefragt, ob es wirklich so viele Seiten braucht, die Charaktere aufzubauen. Andererseits: Was für ein schöner Luxus! Sich den Raum zu nehmen, die vier Protagonisten vorzustellen, sie dem Leser und der Leserin nahe zu bringen. Es geschehen keine wirklichen Höhen und Tiefen in diesem Buch, vielmehr sind es kleine Erlebnisse, der Alltag, den Gavalda erzählt, die einen in das Buch versinken lassen.

Das Ende allerdings ist mir persönlich dann doch ein wenig zu kitschig. Über lange Strecken schwebt ein Damoklesschwert über der WG: Was ist, wenn sich die Erbengemeinschaft verständigt und sie alle aus der Wohnung raus müssen? Dieser Punkt kommt – und ich hatte damit gerechnet, dass sich die Wege damit trennen. Zumal an einer Stelle die Rede davon ist, dass mit dem Einzug von Paulette eine womöglich unvergessliche Lebensphase beginnt.

“Dies ist eine Hypothese. Die Geschichte wird nicht weit genug gehen, um sie zu bestätigen. Und unsere Gewißheiten halten sowieso nie stand. An einem Tag wollen wir sterben, am nächsten stellen wir fest, daß wir nur ein paar Stufen hinabzusteigen brauchen, um den Schalter zu finden und etwas klarer zu sehen. Dennoch machten sich unsere vier bereit, das zu leben, was möglicherweise als ihre schönsten Tage im Leben in Erinnerung bleiben würde.“

Diesen Absatz halte ich angesichts des weiteren Verlaufs für überflüssig und falsche Erwartungen weckend. Es ist ein Bruch, den Gavalda hier macht – die Perspektive wechselnd, aber eben nur ein einziges Mal, eine Seite von 551.

Auch wenn ich ein schönes Buch gerne mit einem warmen Lesegefühl beende, hätte ich mit einem anderen Abschluss gut leben können – und hätte die Geschichte als etwas lebensnäher empfunden. Den vier Sternen tut das aber keinen Abbruch – es bleibt ein schönes Buch!

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