Kurz und gut: Ich liebe dieses Buch! Alles, was darüber gesagt und geschrieben wird, stimmt. Delia Owens gelingen phantastische Naturbeschreibungen, die weder dröge noch langweilig sind oder sich seitenweise in Details verlieren. Vielmehr entsteht das Marschland im Kopf und im Herzen, man bekommt ein Gespür dafür und denkt, man sei selbst dort.
Mit Kya schafft Owens einen Charakter, der in Erinnerung bleiben wird. Das Kind, das von ihrer Familie verlassen wird und lernt, sich im Marschland selbst durchzubringen. Erst geht ihre Mum, dann ihre Geschwister, zuletzt auch Jodie, der Bruder, der ihr am nächsten steht.
„Später, kurz vor Sonnenuntergang, kam Jodie zu Kya an den Strand, wo sie aufs Meer hinausblickte. Als er neben sie trat, schaute sie nicht zu ihm hoch, sondern hielt die Augen auf die gischtenden Wellen gerichtet. ‚Ich muss weg, Kya. Ich kann hier nich mehr bleiben.‘ Fast hätte sie sich zu ihm umgedreht, tat es aber nicht. Sie wollte ihn anflehen, sie nicht mit Pa allein zu lassen, aber die Worte blieben ihr im Halse stecken. (…) Sie wusste, dass Pa der Grund war, warum alle weggingen. Was sie nicht verstand, war, warum keiner sie mitnahm.“
Die Menschen im Ort meiden Kya, und sie meidet die Menschen. Um das“ Marschmädchen“ entsteht ein Mythos. Aber da gibt es Tate, den Freund ihres Bruders, dem sie immer wieder in der Marsch begegnet und sie freunden sich an.
„Der Gesang der Flusskrebse“ ist ein Buch über die Liebe, über Schmerz und Einsamkeit. Und eines über die unfassbare Schönheit der Natur. Kya sammelt von klein auf Muscheln, Federn, Gräser.
„Ihre Sammlungen wurden ausgereifter, methodisch nach Ordnung, Gattung und Spezies unterteilt; nach Alter, anhand der Knochenabnutzung; nach Größe der Federn in Millimetern oder nach den zartesten Grüntönen. Wissenschaft und Kunst befruchteten sich gegenseitig: Die Farben, das Licht, die Spezies, das Leben ließen ein Meisterwerk an Wissen und Schönheit entstehen, das jeden Winkel der Hütte ausfüllte. Ihre Welt. Sie selbst wuchs mit – der Stamm des Rebstock -, allein, aber all diese Wunder zusammenhaltend. Doch so, wie ihre Sammlungen wuchsen, wuchs auch ihre Einsamkeit. Ein Schmerz so groß wie ihr Herz wohnte in ihrer Brust. Nichts konnte ihn lindern. Weder die Möwen noch ein grandioser Sonnenuntergang, noch die seltensten Muschelexemplare.“
Dann gibt es einen Toten. Und Kya wird zur Verdächtigen.
Nach einem Drittel des Buchs dachte ich, das sei alles sehr vorhersehbar. Ich dachte zu wissen, wie die Geschichte sich entwickeln würde. Immer wieder dachte ich das. Und kein einziges Mal hat es sich bewahrheitet. Delia Owens erzählt eine Geschichte jenseits aller, naja: fast aller Krimi- und Kitsch-Klischees.
Ein Buch, bei dem man sich wünscht, es würde ewig dauern. Bei dem man traurig ist, wenn es zu Ende gelesen ist. Eines, das die Sehnsucht nach der Natur im Herzen zurücklässt. Nicht warten, lesen!!