Weiches Begräbnis

Fang Fang

Seiten: 442
Verlag: Hoffmann und Campe
Erscheinungsjahr: 2021
ISBN-Nummer: 978-3-455-01103-6

„Das Gesicht des Schwiegervaters verhärtet sich. ´Weiches Begräbnis!ˋ , brüllt er. Das Schluchzen der Schwiegermutter steigert sich zu lautem Geheul. ´Ich will kein weiches Begräbnis. Mit einem weichen Begräbnis gibt es keine Wiedergeburt.ˋ“

… und kein Erinnern. Woran und wessen wird gedacht werden, persönlich und politisch? Die chinesische Autorin Fang Fang rührt mit diesem Buch auf subtile Art an den Grundfesten der Volksrepublik China. Sie holt an die Oberfläche, was hinter der staatlichen Darstellung der Vergangenheit lauert – und wird deswegen bedroht. Ihr Buch „Weiches Begräbnis“ ist in China nicht mehr erhältlich.

Qinglin ist Sohn einer Arztes und eines Kindermädchens, er wächst behütet auf. Sein Vater stirbt früh, seine Mutter Ding Zitao führt ein ärmliches Leben. Sie hat keine Erinnerung an ihre Kindheit und Jugend, sie weiß nicht, wo sie herkommt. Ihr Leben beginnt, als sie aus einem Fluss gezogen wird, 1952. Der Arzt, der sie rettet und versorgt, wird ihr Mann. Alle Versuche des Erinnerns scheitern, enden in Panik-Attacken. Sie findet sich damit ab, dass das Vergessen einen Grund hat – und gräbt nicht weiter.

Jahrzehnte später fällt Ding Zitao in eine Art Wachkoma. Äußerlich nicht ansprechbar und keine Reaktion zeigend, durchlebt sie in achtzehn Stufen ihr früheres Leben. Es ist die Zeit der Bodenreform.

“Einige der Alten nickten zustimmend und erklärten, hätte man damals nicht zu scharfen Maßnahmen gegriffen, wäre man der Reichen nicht Herr geworden. Sie hätten Geld, Gewehre und Milizen zur Verfügung gehabt, ganze Armeen hätten sie auf die Beine gestellt. (…) Der Preis für die Stabilisierung der Gesellschaft sei zwar hoch und grausam gewesen, aber Hauptsache sei, dass sie am Ende gelang.“

Es sind die Großgrundbesitzer, die während der Bodenreform bekämpft werden, öffentlich zur Schau gestellt, enteignet, gefoltert, ermordet. Qinglin begibt sich auf Spurensuche, er hofft, seine Mutter erwache wieder, wenn er ihre Vergangenheit dem Vergessen entreißt. Doch kurz vor dem Ziel entscheidet er sich anders.

“´Nach außen scheint das Leben warm und alltäglich, aber sobald Du den Schleier lüftest, kommt die hässliche Fratze zum Vorschein und jagt einem Angst ein. Ach ja, ich gehöre nun mal nicht zu denen, die direkt und wagemutig der Wirklichkeit ins Gesicht sehen. Und noch weniger bin ich einer, der fähig ist, die Last der Geschichte auf sich zunehmen.ˋ“

Und so sind es nicht nur die Opfer, die einem weichen Begräbnis anheim fallen, sondern auch die Erinnerung an sie. Fang Fang gelingt es, dies parabel-artig darzulegen. Sie benennt keine Schuldigen, gibt aber den Opfern eine Stimme. Sie klagt nicht an, und legt doch den Finger in Wunden des chinesischen Staates. Ein großartiges Buch, bei dem der Leser nicht nur etwas über die chinesische Geschichte zur Zeit der Staatsgründung lernt, sondern auch zum Nachdenken kommt, über Erinnern und Vergessen. Lesen!!

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