Julia Jorch stellt zu Recht gleich zu Beginn des Buchs klar, dass es zwar ziemlich viel um die Grünen geht, aber nicht darum, etwas über eine bestimmte Partei zu sagen, sondern über Politik. „Ich habe nun mal bei den Grünen gearbeitet und nicht bei der SPD. (…) Ich bin mir aber sicher, bei der SPD, bei der FDP, der CDU oder der CSU gibt es ganz ähnliche Geschichten.“ Das denke ich auch.
Wer allerdings hofft, etwas aus dem inner circle zu erfahren, über heimlich getroffene Entscheidungen und Gemauschel in Hinterzimmern, wird enttäuscht. Julia Jorch plaudert wenig aus dem Nähkästchen, außer es geht darum, einen Politiker zu verteidigen bzw. ein Missverständnis aufzuklären.
„Wir in der Parteizentrale wussten natürlich, wie Claudia Roth zum Iran steht. (…) Aber Menschen, die nur die fünf Sekunden aus dem Video sahen, wussten das nicht. Wir sind so darauf trainiert, die schlechtestmöglichen Motive für das Handeln von Politikerinnen und Politikern zu vermuten, dass wir keinen Spielraum für Grauzonen, Zwickmühlen, Missverständnisse lassen.“
Die Stärke des Buchs, das mit netten Zeichnungen und Grafiken versehen ist, ist die gelungene Schilderung eines ganz normalen Tags im Leben eines Politikers. Am besten hat mir die Grafik eines Outlook-Kalenders gefallen, versehen mit einem Whatsapp-Chat. So einen Tag möchte man nicht ständig haben. Für Politiker ist es „All-Tag“.
Stark ist auch das Kapitel „Warum Politiker immer so viel rumschwafeln“. Man fragt sich: wie würde man selbst in Situationen reagieren, in denen die abstrusesten Fragen gestellt werden, auf die man sofort eine kluge Antwort parat haben soll?
„Schlaflos im Shitstorm“ – Wer kam bloss auf diesen unsinnigen Titel?? – schildert, wie manche Medien-Story entsteht (ein grosses Verdienst dieses Buchs!! Aufzuzeigen, wie das „Agenda-setting“ mancher Journalisten aussieht…) und beschreibt Politiker im Verhältnis zu Politikern, zu Medien, zum Wähler. Das ist für jemanden, der den Berliner Politikbetrieb nicht „von innen“ kennt, sicher nicht ganz uninteressant, für jemanden also, auf den diese Definition nicht zutrifft:
„Das ist die berühmte Twitter-Blase: ein Kreis von Hauptstadtjournalisten und Politikerinnen, die sich alle gegenseitig folgen und glauben, dass das, was in dieser Blase diskutiert wird, deckungsgleich ist mit der Welt da draußen. Dabei gucken da draußen immer noch alle die Tagesschau und lesen die Bild-Zeitung oder Spiegel Online.“
„Schlaflos im Shitstorm“ ist kein Burner, aber es hat witzige Passagen, gewährt zumindest einen kleinen Einblick hinter die Kulissen und liest sich rasch runter. Vielleicht ist man dann beim nächsten Mal tatsächlich etwas nachsichtiger, wenn ein Politiker wieder nur mit Floskeln antwortet und statt des Wahlversprechens nur ein Kompromiss umgesetzt wird.