Russische Botschaften

Yassin Musharbash

Seiten: 396
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Erscheinungsjahr: 2021
ISBN-Nummer: 978-3-462-00096-2

Mit diesem Buch habe ich gegen mein selbst auferlegtes Buch-Kauf-Verbot verstoßen (von dem englischsprachige Bücher ausgenommen sind). Ich hatte die Rezension eines Kollegen im Deutschlandfunk gehört und war neugierig. Zwar wurde meine Erwartung nicht vollends erfüllt, gute Unterhaltung liefert „Russische Botschaften“ aber allemal.

Die Journalistin Merle Schwalb wird in das Investigativ-Team eines großen Magazins aufgenommen. Gleich in den ersten Tagen ihrer neuen Aufgabe wird sie Zeugin, wie ein junger Mann vom Balkon fällt. Sie will dem nachgehen, vermutet zunächst, dass kriminelle Clans involviert sind, und kommt schließlich auf die Spur russischer Agenten.

„Die Clan-Geschichte ist keine Clan-Geschichte. Sie führt in eine andere Richtung. Erlanger, Sie waren ja dabei, als der Mann vom Balkon fiel. Er ist kein Araber, kein Türke und auch kein Kurde. Er hatte zwei libanesische Mitbewohner, aber er selber war Russe. Sein Name war Anatoli Nowikow. Er ist tot. Das LKA hat seinen Tod als Verletzung zu vertuschen versucht, deshalb die irreführende Pressemeldung der Polizei Neukölln. Und wenn ich LKA meine, dann meine ich übrigens die Abteilung 5, also den Staatsschutz.“

Die Sache wird groß. So groß, dass sich Merle Schwalb und ihre beiden Kollegen mit dem Investigativ-Team einer anderen Zeitung zusammentun, sowie mit russischen Recherche-Leuten, ohne die die eigentlichen Zusammenhänge nicht offenbar würden. Am Ende sind nicht nur zahlreiche Politiker und andere Prominente in den Fall verstrickt, sondern auch die Verlagsleiterin des Magazins, für das Merle arbeitet – und ein Kollege der Zeitung. Es wird also persönlich. Auch, weil die Gegenseite – also die russischen Protagonisten – von den Recherchen Wind bekommen, und sich wehren.

“Krieg also, dachte Merle Schwalb, als sie, viele Stunden und noch mehr Biere später, in ihrem Bett lag – im Ernst jetzt? Sind Journalisten nicht sonst immer Zivilisten? Wie das Rote Kreuz oder so? Niemand hat mir Krieg beigebracht. Meine Dozenten an der Journalistenschule nicht, mein Mentor Henk nicht. Vor sinkenden Abozahlen haben sie uns gewarnt, vor dem bevorstehenden Ableben des Printjournalismus. Video, Audio und Podcast sollten wir lernen, bimedial, trimedial, quadrupelmedial. Aber niemand hat mir erklärt, Merle, in der Welt da draußen bist Du eine Kriegspartei. Oder wirst so behandelt werden.“

Dies ist ein sehr realistischer Absatz. Denn in Zeiten von Fake News und Lügenpresse stehen Journalisten tatsächlich immer stärker im Fokus, müssen sich für ihre Arbeit rechtfertigen und werden oft auch persönlich angegangen.

“Es ist so einfach, uns zu bekriegen. Weil wir nicht vorbereitet sind, naiv und lächerlich idealistisch. Sie müssen uns nur zu einem ehrlichen Fehler zwingen, ein einziger genügt – und schon haben sie einen Ansatzpunkt, einen Hebel. Können das Schlachtfeld mit ihren Lügen fluten, bis niemand mehr irgendwem glaubt (…), sondern die Wahrheit nur noch eine Option unter vielen ist.“

Ich weiß nicht, ob Investigativjournalisten so arbeiten wie Merle Schwalb. Da aber Yassin Musharbash selbst als einer tätig war, ist womöglich weniger an den Haaren herbeigezogen als es den Anschein macht. Die Geschichte selbst mag übertrieben sein, sie zeigt dennoch eine unangenehme Entwicklung – und liefert dabei gute Unterhaltung.

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