Der Nebelfürst

Martin Mosebach

Seiten: 298
Verlag: dtv
Erscheinungsjahr: 2001
ISBN-Nummer: 978-3-423-13119-3

Es klang so vielversprechend und interessant!! Im Buchdeckel steht beschrieben:

„Gut erfunden, möchte man meinen. Aber mitnichten. Unter dem Stichwort ‚Bäreninsel‘ schrieb Meyers Konversationslexikon: ‚Im Auftrag eines Hamburger Syndikats nahm 1898 der Deutsche Theodor Lerner 85 qkm in deutschen Besitz.‘ Eine wahre Geschichte also…“

Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich kann mich an kein Buch erinnern, bei dem ich froh war, wenn ich 25 Seiten am Stück geschafft habe. Für 300 Seiten drei Wochen zu brauchen sagt viel über den Fesselungsgrad des Geschriebenen aus. Dabei ist die Idee des Romans – der deutsche Versuchs, in der Arktis die Bäreninsel zu kolonialisieren – sehr gut!

„Lerner war begierig, gleich noch einmal den Fuß auf sein neues Land zu setzen. (…) So reizlos wie gestern sah die Bären-Insel auch gar nicht mehr aus. (…) Sie war jetzt etwas Eigentümliches geworden, ein unverwechselbarer Platz mit Ausdruck. Ihre Hügel besaßen Masse, ihre Abhänge Schroffheit, ihre Ebenen die leichte Wölbung eines Topfdeckels.“

Leider sind die Protagonisten so unsympathisch und eindimensional, dass das Lesen zur Qual wird. Lerner, der passive Journalist, der mit sich geschehen lässt, was Frau Hanhaus anordnet. Die Investoren, die sich so leicht übers Ohr hauen lassen.

„Es war auffällig, wie wenig die konkreten Angaben zum Bären-Insel-Vorhaben in Zweifel gezogen wurden. Es schien den Leuten gar nicht darauf anzukommen, wirklich zu wissen, ob auf der Bären-Insel die verheißenen Kohlevorräte lagen und ob sie so leicht abzubauen und zu verschiffen waren wie beschrieben.“

Die Hochstaplerin Frau Hanhaus ist die Strippenzieherin und geht zwar nicht über Leichen, aber über Verletzte, um Ziele zu erreichen. Zu Lerner sagt sie mal in einem Moment der Ruhe:

„‚Ich habe in meinem Leben einen Entschluss gefasst. Ich lasse mich aus keinem Spiel herausdrängen. Wenn ich mich an den Spieltisch setze, bleibe ich sitzen, bis ich gewonnen habe. Da gibt es kein: Ich passe. Wer passt, hat verloren.‘“

Lerner wird allmählich unter diesem Einfluss selbst zum Hochstapler. Da ist schlicht sehr vieles sehr unwahrscheinlich und unglaubwürdig – vom Moment des Kennenlernens der beiden angefangen.
Zu den stereotypen Charakteren kommt Mosebachs Angewohnheit, jedes Kapitel mit einer ausführlichen Beschreibung der Räumlichkeiten zu beginnen. Die Geschichte kommt nur selten in Fluss. Die aus meiner Sicht beste Stelle des Buchs ist die Beschreibung von zwei Ameisen, die an der Zimmerwand eine Fliege transportieren und von Lerner beobachtet werden. Eine der wenigen fesselnden Momente!

Lerner – und der Leser – werden endlich entlassen, als Frau Hanhaus eine neue Bestimmung für sich gefunden hat. Zu diesem Zeitpunkt hat Lerner seinen Fehler schon längst erkannt („Wer in der Liebe versagte, hatte auch nicht die Kraft, sich den Flecken Erde zu erkämpfen, auf dem er stehen wollte“) aber eigenständig handeln kann er erst, als er vermeintlich frei ist.

Zwei Sterne für die Buch-Idee, und dafür, dass ich so zumindest etwas über diese kleine deutsche Kolonialisierungsgeschichte gelernt habe.

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