Altes Land

Dörte Hansen

Seiten: 287
Verlag: Penguin Random House
Erscheinungsjahr: 2015
ISBN-Nummer: 978-3-328-10012-6

Wann habe ich zuletzt ein Buch in einem Rutsch an einem Tag durchgelesen? Herrlich! Ich hatte „Altes Land“ für den Lesekreis vorgeschlagen und bin nun selbst sehr begeistert.

Vera kommt als Kind ins Alte Land, mit ihrer Mutter Hildegard, als Flüchtling aus Ostpreußen. Die alte Besitzerin des Hofs, Ida Eckhoff, nimmt sie auf, widerwillig. Doch Hildegard macht sich auf dem Hof unentbehrlich, und heiratet schließlich Karl, den Sohn des Hofs, ein Kriegsversehrter, der für Vera ein Vater wird.

„Wenn es etwas gab, das Hildegard von Kamcke ihrer Tochter vererbt hatte, war es ihr Mangel an Demut. Die Mutter hatte sich geweigert, den Habitus der Habenichtse anzunehmen. Man hatte sie aus ihrer Heimat weggejagt, ihr alles weggenommen, das war wohl schlimm genug! Da musste eine Bäuerin wie Ida Eckhoff eben teilen, den Hof, das Haus, und, wenn ihr das nicht passte, weichen.“

Karl wird für Vera die einzige Bezugsperson, die ihr bleibt, nachdem Hildegard zunächst die „Oma“ in den Selbstmord getrieben und dann den Hof und ihr inzwischen 14-jähriges Kind verlassen hat, wegen eines reicheren Mannes in Hamburg.

Das ist eigentlich keine schöne Geschichte, doch es ist nur der Teil der Vergangenheit. Vera wird auf diesem Hof bleiben, in diesem Haus, mit Karl. Im Dorf ist sie eine Außenseiterin, das ewige Flüchtlingskind selbst als Erwachsene noch. Sie passt sich nicht an. Und traut dem Haus nicht ganz, nach all ihren Kindheitserfahrungen dort.

“Alles in ihrem Haus war alt und schwer. Vera schien keinen Stuhl, kein Tischtuch, keinen Schrank gekauft zu haben. Sie hatte jedes Stück geerbt, aber sie lebte mit den Dingen, als gehörten sie ihr nicht. Sie hütete das Haus, mehr nicht, sie schien es kaum zu wagen, die alten Blumentöpfe zu verrücken, die ihre Mutter vor Jahrzehnten auf die Fensterbänke gestellt hat.“

Das beobachtet Veras Nichte Anne. Sie kommt mit ihrem Sohn Leon auch quasi als Geflüchtete auf den Hof, nachdem ihr Mann sich einer anderen zugewendet hat. Für Vera ist das gewöhnungsbedürftig, doch die drei wachsen zusammen – und Anne darf sogar ganz behutsam das im Verfallen begriffene Haus wieder herrichten, „schier machen“.

Mich fasziniert Dörte Hansens Art, die Geschichte um das Haus und seine Personen zu erzählen. Sie springt in den Zeiten, schildert Erinnerungen und Gewesenes, ohne dass dafür eigene Kapitel aufgemacht werden. Es liest sich mit, es ist nicht verwirrend. Das Bild entsteht nach und nach, indem immer wieder Puzzleteile eingefügt werden, wie selbstverständlich.

Und ich mag die Sprache sehr! Ein paar Beispiel-Sätze:

“Hildegard wurde nicht friedlicher, als Ida Eckhoff unter der Erde war. Ihre Wut wechselte nur die Richtung, raste nun ungebremst auf Karl und Vera zu, die schief und schiefer wurden in dem ewigen Sturm, zwei windgeschorene Menschen.“

Menschen wie Bäume, könnte man das auch verstehen, was passt, denn Vera und Karl sind diejenigen, die in dem Hof bleiben.

Als Anne ihre Wohnung verlässt, sich vorstellt, wie es sein würde, im Alten Land zu leben, denkt sie:

“Sie würde über Felder gehen. Das Weite suchen.“

Ein wunderbares Bild – das Übertragene ins Tatsächliche geholt.

Oder dies:

„Alles, was sie taten, taten sie einander an.“

Ich habe dieses Buch sehr, sehr gemocht und mir sofort nach dem Fertigwerden die beiden anderen bislang erschienen Dörte Hansen-Bücher bestellt. Ich kann es kaum erwarten, sie zu lesen!

Ausgewählte Bücher:

Card image cap

Orbital


Samantha Harvey
Card image cap

Die Liebe im Ernstfall


Daniela Krien
Card image cap

Altes Land


Dörte Hansen