„Wunder“, der Debutroman von Raquel Palacio, ist bis zum Schluss ein Fünf-Sterne-Buch. Dann ist es für meinen Geschmack doch einen Ticken zu schwülstig, ein klein wenig übertrieben – wenngleich irgendwie konsequent. August selbst ordnet das ein – was mich fast doch fünf Sterne vergeben lässt. „Ich hab keinen Todesstern zerstört oder so was, ich hab‘s bloß durch die fünfte Klasse geschafft. Und das ist nicht leicht, selbst wenn man nicht zufällig August Pullmann ist.“
August ist zehn Jahre alt und ist nie zur Schule gegangen; seine Mutter hat ihn zu Hause unterrichtet. Der Grund: Er sieht nicht aus wie andere Kinder. Er kam mit einem entstellten Gesicht zu Welt.
„`Das Entscheidende, was ich habe, ist das Treacher-Collins-Syndrom. Aber ich habe auch noch dieses andere Syndrom, das Goldenhar-Syndrom. Und dann noch eins, das ich nicht mal aussprechen kann. Und diese Sachen sind irgendwie zusammengemorpht in eine große Megasache, die so selten ist, dass es nicht mal einen Namen dafür gibt. Ich meine, ich will nicht angeben oder so, aber tatsächlich werde ich als so eine Art medizinisches Wunder angesehen, weißt Du?´ Er lächelte. `Das war ein Witz, sagte er. Du darfst lachen.´“
Bei seiner Geburt rechneten die Ärzte nicht damit, dass August überleben würde. Dabei ist er nicht geistig beeinträchtigt. August ist ein ganz normaler Zehnjähriger – abgesehen eben von seinem Gesicht.
„Na ja, es ist nicht so, als würde es mir was ausmachen, dass die Leute auf mich reagieren. Wie ich es schon tausend Mal gesagt habe: Ich bin inzwischen dran gewöhnt. Ich lass das nicht an mich ran. Wie wenn man rausgeht und es ein bisschen nieselt. Für so‘n bisschen Nieseln zieht man sich keine Gummistiefel an. Man macht noch nicht mal den Regenschirm auf. Man läuft einfach durch, und es fällt einem kaum auf, wie einem die Haare nass werden.“
Raquel Palacio erzählt die Geschichte aus mehreren Perspektiven – aber immer aus Kindersicht. August erzählt, seine Schwester Via, sein Freund Jack, der Freund seiner Schwester … Erzählt wird das erste Jahr Augusts an der Middle School, die fünfte Klasse. Er wird gehasst, geärgert, ignoriert. Die Mutter eines Mitschülers lässt ihn aus dem Klassenfoto retuschieren. Und er findet Freunde.
Der Autorin gelingt es wunderbar, Auggies Leben nahbar zu machen – ebenso wie die seiner Mitmenschen. Es ist lustig und traurig und regt zur Empathie an. Denn – wie schon der kleine Prinz wusste: Man sieht nur mit dem Herzen gut.