Vic Van Allen ist Leiter eines kleines, exklusiven Verlags und musste sich um Geld nie Gedanken machen. Er ist beliebt, ein guter Vater und Freund, hilfsbereiter Nachbar, geduldiger Ehemann. Zu geduldig in den Augen vieler, denn seine Frau Melinda tanzt ihm auf der Nase herum. Wie kann er nur zuschauen, wenn sie andere Männer nach Hause einlädt, mit ihnen tanzt – und wahrscheinlich nicht nur das?
“…Und er wollte ihr ja auch keine Knüppel zwischen die Beine werfen. Er war durchaus bereit, ihr einen Liebhaber zu gönnen, solange er ein anständiger Kerl war, der wenigstens ein bißchen Grütze im Kopf hatte. Aber es stand zu befürchten, dass Melinda diesen Typ nie wählen … richtiger, dass dieser Typ nie Melinda wählen würde.“
Anfangs kokettiert er noch damit, für den Tod eines der Freunde verantwortlich zu sein – da ist Vic noch kein Mörder. Als er es wird freut man sich fast mit ihm, dass er damit durchkommt. Hat es Melinda nicht verdient?
Spätestens da stellt sich die Frage nach dem Perspektivwechsel – der in diesem Buch nicht stattfindet. Dennoch sollte sich der Leser zwischendurch auf Melindas Seite begeben – die Geschichte aus ihrer Sicht erzählt wäre zwar ein schnöder Krimi, aber nachvollziehbar. Und würde den Leser nicht so auf‘s Glatteis führen, mit einem Mörder mitzufiebern.
“Während Vic in den Schlaf hinüberglitt, stieg in ihm ein Gefühl der Feindschaft gegen Melinda auf; er wollte es nicht, aber er vermochte sich nicht dagegen zu wehren. Es war wie etwas Altgewohntes – altgewohnt wie das Einschlafen in Rückenlage eben jetzt. (…) Etwas in ihm versah ohne sein Zutun Melinda mit einem Etikett: FEIND stand darauf, und weder die Kräfte der Vernunft noch die der Phantasie würden es wieder entfernen können. Melinda war sein Feind; sanft und unwiderstehlich prägte es sich in seiner Seele ein. Er drehte sich ein wenig zur Seite und war eingeschlafen.“
Wie die Sympathien in „Tiefe Wasser“ anders gelagert sind, so ist es auch die Grundstimmung des Buchs. Die Atmosphäre ist nicht aggressiv oder gewalttätig, sondern, aus Vics Sicht erzählt, harmonisch, ja: friedfertig.
Die Sunday Times schrieb über das Buch, seine herausragende Leistung sei „die gekonnte Portraitierung eines Psychopathen, von den ersten schwachen, noch angenehmen Umrissen bis zu den tiefschwarzen Schreckensfarben einer Schizophrenie.“
Nur dass einem das nicht immer unmittelbar bewusst ist. So wie dem Betrachter des ruhigen Gewässers seine Tiefe auch oft erst bewusst wird, wenn er darin versinkt.