Nora entscheidet sich, ihr Leben zu beenden. Sie wird vermeintlich nicht mehr gebraucht: Ihr einziger Klavierschüler will aufhören, ihr Chef kündigt ihr, ihr Kater stirbt.
“Nora went through her social media. No messages, no comments, no new follower, no friend requests. She was antimatter, with added self-pity. (…) After the wine a realisation hit her with total clarity. She wasn‘t made for this life. Every move had been a mistake, every decision a disaster, every day a retreat from who she‘d imagined she‘d be. Swimmer. Musician. Philosopher. Spouse. Traveller. Glaciologist. Happy. Loved. Nothing. She could‘t even manage cat-owner.“
All diese Leben kann sie nun, da sie versucht hat sich das Leben zu nehmen, ausprobieren. Eine zweifelhafte Art, die nicht zur Nachahmung geeignet ist. Und sicher wäre es auch nicht jedermanns und jederfraus Sache, in die diversen möglichen, verpassten Leben zu schlüpfen. Doch Nora landet in der Midnight Library, bei ihrer alten Bibliothekarin Mrs. Elm.
“Between life and death there is a library, she said. And within the library, the shelves go on for ever. Every book provides a chance to try another life you could have lived. To see how things would be different if you had made other choices … Would you have done anything different, if you had the chance to undo your regrets?“
Und so kann Nora ausprobieren, was nach den jeweiligen Entscheidungen geschehen wäre. Große und kleine Entscheidungen: Nicht die Hochzeit zu cancellen. Doch mit der Freundin nach Australien zu gehen. Eine Ausbildung als Gletscherforscherin zu machen. Nicht aus der Band auszutreten. Nicht mit dem Leistungssport aufzuhören. Wenn ihr ein Leben richtig gefällt kann sie drin bleiben. Wird die Enttäuschung eines Lebens zu groß, kehrt sie automatisch zurück in die Mitternachts-Bibliothek.
Nora erlebt die verschiedenen Szenen stets aus der Perspektive ihres „Urspungs-Lebens“. Sie sieht sich mit verschiedenen Frisuren, mal sportlicher, mal erfolgreicher, auch glücklicher. Mal ist ein Angehöriger gestorben, mal bestehen einst verlorene Kontakte und Freundschaften noch. Doch immer wieder kehrt sie zurück. Und resümiert.
„My dad was alive because of me. But he‘d also had an affair, and my mum died earlier, and I got on with my brother because I had never let him down, but he was still the same brother, really, and he was only really okay with me in that life because I was helping him to make money and … and … it wasn‘t the Olympic dream I imagined. It was the same me.“
“The Midnight Library“ liest sich kurzweilig, und es ist durchaus interessant, mit Nora durch ihre verschiedenen Leben zu stromern. Unwillkürlich stellt man sich selbst diese Fragen: Was im Leben bereut man, was würde man anders machen? Wie wäre das Leben jetzt, wenn…?
Doch insgesamt ist das Ende doch recht vorhersehbar. Das Buch ist lesenswert – und wer es lesen möchte, sollte hier stoppen.
Denn ausnahmsweise erlaube ich mir einen kleinen Spoiler: Meine Oma sagte gern: Wenn man alle Schicksale auf einen Haufen werfen würde, und jede und jeder dürfte sich eines davon aussuchen – es würde jeder wieder sein eigenes Schicksal wählen.
Daran musste ich denken beim Lesen.
“The prison wasn‘t the place, but the perspective.“