Morgen und Abend

Jon Fosse

Seiten: 122
Verlag: rororo
Erscheinungsjahr: 2001
ISBN-Nummer: 978-3-499-23313-5

Mitten im Krimi bin ich neugierig: Jon Fosse. Literatur-Nobelpreisträger 2023. Das nächste Buch im Lesekreis. Nur 122 Seiten. Das lässt sich doch reinschieben? Auch wenn ich normalerweise nicht zwei Bücher gleichzeitig lese: Dieses habe ich in einem Rutsch eingesaugt.

Ein Buch ohne Punkt. In der ganzen Erzählung gibt es dieses Satzzeichen nicht, es wird kein Punkt gesetzt, auch am Schluß nicht. Der Tod kennt kein Ende?

Johannes stirbt. Oder konkreter gesagt: Er ist bereits gestorben. Doch ihm selbst ist das nicht bewusst. Er beginnt seinen Tag wie immer, trinkt Kaffee, isst ein Brot, raucht. Er geht raus zum Boot, überlegt, heute mal nach Westen rauszufahren.

Seit Erna tot ist, seine Frau, ist das Leben öd. Eintönig. Und auch Peter ist nicht mehr da. Doch irgendetwas ist heute anders.

“… und er bleibt stehen und schaut auf die Bootshäuser in der Bucht hinunter und er spürt, dass auch an ihnen etwas anders ist, und Johannes steht da, macht die Augen zu, was ist nur passiert? denn alles, was er sieht hat sich verändert, jetzt sieht er die Bootshäuser und sie sind auch so schwer und zugleich so wundersam leicht, nein was geht nur mit ihm vor?, denkt Johannes, nein das wird er wahrscheinlich nie herausfinden, denkt Johannes und das ist wahrscheinlich sowieso alles Einbildung, auch dass die Bootshäuser anders aussehen, jedenfalls kann er nicht feststellen, dass etwas Bestimmtes passiert wäre, und wenn doch etwas anders ist, dann ist am ehesten in ihm selber etwas passiert oder könnte es auch etwas Äußeres sein? könnte etwas passiert sein, möglicherweise gar nichts Großes, nur etwas ganz Kleines draußen in der Welt, das ihm das Gefühl gibt, dass alles ganz anders ist? aber er selbst ist doch derselbe wie immer, ist er doch, oder? er hat sich heute früh ja so wundersam leicht gefühlt beim Aufstehen?“

Als Kontrast beginnt Jon Fosse sein Buch mit der Geburt des Mannes, dessen Tod er den Großteil der Erzählung beschreibt. Beide Ereignisse sind ergreifend, gehen nah und spenden Trost. Wenn so sterben ist, denkt man sich am Ende, müsste niemand Angst davor haben.

Es ist Peter, sein bester Freund, der ihn hinüber begleitet. Der aus dem Jenseits kommt, um ihm den Weg zu zeigen.

“Da, wo wir hinfahren, gibt es keine Körper, also kann auch nichts wehtun, sagt Peter

Aber die Seele, tut es in der Seele weh?, fragt Johannes

Es gibt kein Du und Ich, da, wo wir hinfahren, sagt Peter

Ist es gut, dort zu sein?, fragt Johannes

Es ist weder gut noch schlecht, aber groß und still und es flirrt ein wenig, und hell ist es, aber diese Wörter können nicht viel sagen, sagt Peter“

Eine wundervolle Geschichte, ganz und gar außergewöhnlich und einfach nur schön.

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