„Kurze Geschichten über Kleider und Leute“ ist der Untertitel dieses Buchs – und mehr gibt es kaum zu sagen. Es sind Kurzgeschichten, perfekt vor dem Schlafen zu lesen, kleine Happen Amüsierendes, Nachdenkliches, Wohlbekanntes.
“Da ist einerseits die Freude über den Fund, das schöne Kleid, die prächtige Bluse, genau die richtige Hose. Aber man muss anprobieren. Man muss in eine Umkleidekabine. Man muss in die Vorhölle. Grelles Licht, riesige Spiegel, der Vorhang schließt nur halb. Es gibt keinen Stuhl, nur zwei Haken, auf dem Boden huschen Wollmäuse herum. Man würgt sich aus den Hosen und Mänteln, man versucht, sie irgendwie zu verstauen, das neue Kleid rutscht vom Bügel, jemand zieht den Vorhang auf: `Oh, sorry, ich dachte, hier wär frei´, ich bring sie um, diese Idiotin. Der Spiegel zeigt eine hässliche alte Frau mit scheußlicher Frisur und zu dickem Bauch, ich bin das nicht, das bin ich doch nicht, schnell in das Kleid.“
Wie viele Geschichten Elke Heidenreich zu Klamotten zu erzählen hat! Ich habe beim Lesen überlegt, zu wie vielen meiner Kleidungsstücke ich eine Geschichte hätte – viele sind es nicht. Der Oktoberfest-Pulli, die rosafarbenen Sneaker (oder hab ich die schon entsorgt?), das einmal getragene Kleid.
Heidenreich erzählt nicht nur Anekdoten zu Kleidungsstücken, sondern auch und vor allem über die Menschen, die sie tragen.
“Mit der alten Mutter zum Arzt zu gehen, das ist furchtbar. Sie hört ihm nicht zu, sie weiß alles besser, sie redet ihm hinein, sie lehnt seine Medikamente ab, sie ist bockig und aufsässig und `ich bin überhaupt nicht krank, ihr Ärzte wollt einem doch nur immer was aufschwatzen´. Die Tochter rollt hinter dem Rücken der Mutter die Augen, der Arzt seufzt, versteht, gibt das Rezept lieber der Tochter und erklärt ihr, was wann wie einzunehmen wäre. Er will noch mal der Mutter ein wenig ins Gewissen reden, aber sie plappert schon wieder dazwischen und sagt, ach, man darf sich auch nicht hängenlassen, Krankheit sei auch oft Einbildung, in ihrer Familie – alter Adel! – habe man immer gesagt: `Vorwärts wird geritten!´“
Bis plötzlich ein neuer Arzt die Praxis betreibt. Die Mutter plötzlich lammfromm, spricht keinen Ton und sagt hinterher auf die Frage der Tochter, warum sie den Doktor nicht wie sonst in Grund und Boden geredet habe:
„`Pah! (…) den doch nicht, das ist doch kein Arzt, der hat ja nicht mal einen weißen Kittel an, der sitzt da in Jeans und Pullover, du glaubst doch nicht, dass ich da jemals noch mal hingehe.´“
Wie einfach muss es sein, Geschichten zu schreiben! denkt man sich beim Lesen dieses Büchleins – dabei ist es eben genau das nicht, will man den richtigen Ton treffen, die Leichtigkeit. Elke Heidenreich gelingt das wunderbar!