Höllenritt Wahlkampf

Frank Stauss

Seiten: 197
Verlag: dtv
Erscheinungsjahr: 2013
ISBN-Nummer: 978-3-423-24986-7

Kein Sachbuch, aber auch kein Roman: „Höllenritt Wahlkampf“ ist ein Insider-Bericht aus der Kampagne eines Bundestagswahlkampfes. Empfohlen hat mir das Buch eine Viel-Leserin aus meinem Bekanntenkreis. Ich hab‘s gern gelesen!

Frank Stauss ist Mitinhaber der Kommunikationsagentur „Butter“. Und die hat schon etliche Wahlkämpfe in dieser Republik begleitet. Landtagswahlen, Bundestagswahlen – und Stauss selbst sogar durfte dabei sein in der Kampagne Clinton vs. Bush in den USA 1992.

“Nichts wurde dem Zufall überlassen. (…) Die Wahlkampfzentrale kontrollierte aus dem Headquarter auch die Auftritte Clintons und Gores über Satellitenübertragungen. Man platzierte immer eine eigene Kamera neben den Kameras der großen Sender und bekam so deren Bildausschnitt live übermittelt. So konnte man den Kollegen vor Ort gerne mal sagen: `Da steht eine Frau mit rotem Kleid direkt vor Clinton im Bild. Schafft die da weg.´ Toll.“

Stauss nimmt die Leser mit in den Wahlkampf von Gerhard Schröder 2005. Der Kanzler hat die Vertrauensfrage gestellt, um nach der verlorenen Landtagswahl in NRW – einst SPD-Stammland – Neuwahlen ausrufen zu können. Für die Kampagne bleibt damit nicht viel Zeit.

“Es ist der Dienstag nach der NRW-Wahl und ich sitze im Büro von Kajo Wasserhövel, dem Bundesgeschäftsführer der SPD. Er hatte noch am Sonntag bei mir angerufen und nun sprechen wir gemeinsam mit seiner Vertrauten Svenja Hinrichs darüber, wie man mit diesem Wahlkampf umgeht, den es vor 48 Stunden noch nicht gab. (…) Aber wer um Himmels willen sollte einen Bundeskanzer wählen, der dem Volk soeben seinen Rücktritt eingereicht hat? Wird er überhaupt antreten? Und wie reagiert die Basis darauf, die man für einen Wahlkampf braucht? Also die hunderttausende freiwilligen Helfer, die eine Kampagne überhaupt erst auf die Straße bringen.

Ein General hat eine Armee, ein Unternehmen einen Außendienst, wir haben nichts außer der Kraft der Motivation und Überzeugung. Und die ist nicht vorhanden. (…) Die Aussicht, direkt nach NRW in die nächste Schlacht ohne Chancen zu ziehen, ist alles andere als verlockend.“

Die Agentur übernimmt die Kampagne trotzdem und startet abgeschlagen bei zwanzig Prozent hinter den Umfragewerten der Union. Die Herausforderin heißt Angela Merkel – und wir wissen, wie die Wahl ausging. Und doch liest sich die Schilderung wie ein Krimi. Das liegt auch und vor allem an den Einblicken, die Stauss gibt, etwa beim Dreh für den Fernseh-Werbespot mit dem Kanzler.

“Die Idee ist folgende. Im längeren Spot (60 Sekunden) wird der Kanzler die ganze Strecke der Brücke entlang auf uns zugehen. (…) Jetzt ist alles bereit, der Kanzler fast pünktlich und der Helikopter gelandet. Der Kanzler und sein Entourage wissen: stur geradeaus gehen. Nicht nach rechts oder links. Immer stetig geradeaus wie zum Duell in `High Noon´.

Es kommt Bewegung ins Bild. Wir sehen, wie sich die ersten Gestalten vom Landeplatz der Brücke nähern. Das sieht schon gut aus. Die Kamera läuft. Es wird keine zweite Aufnahme geben. (…) Der Kameramann ist entzückt. Das sieht gut aus. (…) Jetzt weiter so und Kurs halten. Immer nur geradeaus auf uns zu. (…)

`Gerd, Geheeerd!´ `Herr Bundeskanzler, hiiiiiieeeer!` (…) Der Helikopter hat beim Landeanflug natürlich die Aufmerksamkeit der Touristen auf sich gezogen. (…) Nicht winken. Immer weitergehen. Nicht winken, oder unsere Aufnahme ist im Arsch. (…) Und dann hält er es nicht mehr aus, schert aus, geht ans Geländer und winkt und grüßt und wird bejubelt und hunderte Kameras knipsen. Er ist ein Politiker im Wahlkampf seines Lebens. Ich kann ihn verstehen. Aber wir haben keinen Spot.“

Ich finde das unterhaltsam, gerade weil es das Abgehobene, wie Politik ja oft empfunden wird, runterholt und die Protagonisten zu Menschen macht. Leider wurde das Buch 2013 geschrieben. Mich würde sehr interessieren, wie die Schilderungen heute aussähen, in einer Zeit, in der die AfD zum stärksten Konkurrenten geworden ist, auch und vor allem durch ihr Auftreten in den Sozialen Medien.

Dieser Wahlkampf wirkt wie aus einer anderen Zeit. Die Ära Merkel steht erst noch bevor – und all das, was die AfD womöglich erst stark gemacht hat. So gesehen ist „Höllenritt Wahlkampf“ veraltet. Das tut der Authentizität aber keinen Abbruch – und der unterhaltsamen Lektüre auch nicht.

Ausgewählte Bücher:

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Heinrich Steinfest
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