Frankenstein

Mary Shelley

Seiten: 300
Verlag: Reclam
Erscheinungsjahr: 1818
ISBN-Nummer: 978-3-15-020516-7

Es ist mal wieder Zeit für einen Klassiker - und was für einen! Mit recht geringen Erwartungen ans Lesen gegangen, hat mich „Frankenstein“ sehr überrascht. Ein Buch, das ich wider Erwarten sehr mag!

Es gibt nicht allzu viele Titelhelden, die über ihr Werk hinaus einen Bekanntheitsgrad erreicht haben, dass quasi jedes Kind sie kennt – ohne entsprechende literarische Vorkenntnisse. Dracula ist einer, Miss Marple vielleicht – und ganz sicher: Frankenstein. Beziehungsweise Frankensteins Monster.

Dabei ranken gerade um Frankenstein viele falsche Darstellungen, basierend auf dem Film, der – wie es so häufig bei Buchverfilmungen der Fall ist – ein anderes Ende nimmt. Der Grund, warum ich mir seit gut Jahren keine Filme mehr anschaue, wenn ich das Buch gelesen habe.

Victor Frankenstein ist ein junger Student, der sich an der Universität Ingolstadt in seine Forschungen vertieft. Sein Ziel: Leben erschaffen. Er sammelt „Zutaten“, Organe, Menschenteile – und schafft es, sie zusammenzusetzen und der Gestalt Leben zu geben.

„Wie soll ich meine Empfindungen beim Anblick dieser Katastrophe beschreiben oder wie das Scheusal schildern, das ich mit so unendlicher Qual und Hingabe zu gestalten unternommen hatte. Seine Gliedmaßen waren richtig proportioniert, und ich hatte ihm auch gefällige Gesichtszüge gegeben. Gefällig! Großer Gott! Die gelbliche Haut bedeckte kaum die darunter arbeitenden Muskeln und Adern; sein Haar war glänzend schwarz und wellig; seine Zähne perlweiß; aber diese Vorzüge bildeten nur einen umso grässlicheren Gegensatz zu den wässrigen Augen, die fast dieselbe Farbe hatten wie die trübweißen Höhlen, in denen sie saßen, zu der runzligen Gesichtshaut und den schmalen schwarzen Lippen. (…) jetzt, da ich fertig war, schwand der schöne Traum dahin, und abgrundtiefer Abscheu und Ekel erfüllten mein Herz. Unfähig, den Anblick des Wesens, das ich geschaffen hatte, zu ertragen, stürzte ich aus dem Zimmer (…).“

Wie es Frankenstein gelingt, sein „Monster“ lebendig zu machen, das bleibt unbeantwortet, so weit geht Mary Shelley mit ihrem Science Fiction-Roman nicht. Sie interessiert sich mehr für die zwischen“menschlichen“ Probleme und Beziehungen, die so ein künstlich erschaffenes Wesen in seiner Umwelt erleidet.

Dabei erzählt Shelley die Geschichte schachtelartig: Es sind drei Erzählungen. Die Rahmenhandlung findet in Briefform statt: Ein wohlhabender Privatmann, Robert Walton, geht auf Expedition in Richtung Norden und begegnet unterwegs, nahe des Nordpols, Frankenstein. Davon berichtet er seine Schwester. Eingebettet ist die Schilderung Frankensteins, der Walton von der Erschaffung des Monsters und den folgenden Geschehnissen berichtet. Und im Kern kommt auch das Monster selbst zu Wort, das seinem Erschaffer von den ersten Jahren seines Lebens berichtet.

Dabei wird deutlich: Frankensteins Monster, das keinen eigenen Namen hat, ist ein empfindendes und empfindsames Wesen, dessen Hoffnung auf Liebe und Anerkennung unerfüllt bleibt. Das schürt Wut und Rache, und lässt ihn letztendlich zum Monster werden.

Die Grausamkeiten, die er begeht, bestimmen fortan das Leben Frankensteins, der dem Monster zunächst entkommen will, um es dann zeit seines Lebens zu jagen, stets geplagt von dem Geheimnis seiner Schöpfung und seiner Schuld, die letztendlich er an den Grausamkeiten hat.

“Danach setzte ein Fieber ein. Zwei Monate rang ich mit dem Tod. Meine Ausbrüche waren, wie ich nachher hörte, fürchterlich; ich bezeichnete mich als Mörder von William, von Justine und von Clerval. Manchmal bat ich meine Pfleger flehentlich, mir bei der Zerstörtung des Ungeheuers zu helfen, von dem ich gemartert wurde; dann wieder spürte ich, wie die Finger des Monsters meinen Hals schon umklammerten, und schrie laut vor Todesangst und Schrecken. Da ich mich in meiner Muttersprache ausdrückte, verstand mich zum Glück nur Mr. Kirwin; aber meine Gesten und meine herzzerreißenden Schreie genügten, um den anderen Zeugen Angst einzujagen. Warum starb ich nicht? Elender als je ein Mensch zuvor – warum sank ich nicht in Vergessenheit und Ruhe? (…) Aus was für Stoff war ich gemacht, dass ich so viele Erschütterungen ertragen konnte, die wie die Streckfolter die Marter immer wieder erneuerten?“

„Frankenstein“ war für mich ein Überraschungsbuch. Ich hatte den Film nicht gesehen und deshalb die (zum Teil im Film neu erdachte) Handlung nicht präsent. So war ich erstaunt, dass die Schaffung des Monsters nur ein Bruchteil der Geschichte ausmacht, während die Jagd und die Geschehnisse währenddessen den Großteil liefern.

Obwohl Mary Shelley das Buch 1818 geschrieben hat, lässt es sich erstaunlich gut lesen. Und das lesenswerte Nachwort des Übersetzers liefert interessante Informationen zur Entstehung des Werks und seiner Bedeutung.

Ich kann „Frankenstein“ durchaus empfehlen. Es liefert nicht nur die Hintergründe dieses berühmten Monsters, sondern ist eine berührende Geschichte um Leben, Freundschaft und Sehnsucht.

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