Muss man den Inhalt überhaupt erzählen? „Die unendliche Geschichte“ ist ein Buch im Buch. Der kleine, dickliche und unbeliebte Junge Bastian Balthasar Bux schwänzt die Schule. Er flüchtet sich vor dem Regen in das Antiquariat von Karl Konrad Koreander. Und entdeckt dort dieses Werk.
“Er hob das Buch hoch und betrachtete es von allen Seiten. Der Einband war aus kupferfarbener Seide und schimmerte, wenn er es hin und her drehte. Bei flüchtigerem Durchblättern sah er, daß die Schrift in zwei verschiedenen Farben gedruckt war. Bilder schien es keine zu geben, aber wunderschöne, große Anfangsbuchstaben. Als er den Einband noch einmal genauer betrachtete, entdeckte er darauf zwei Schlangen, eine helle und eine dunkle, die sich gegenseitig in den Schwanz bissen und so ein Oval bildeten. Und in diesem Oval stand in eigentümlichen verschlungenen Buchstaben: Die unendliche Geschichte.“
Genau so sieht mein Buch auch aus. Unter dem Papiereinband ist das Emblem, die Schrift ist in zwei Farben gedruckt, es hat wunderschön gezeichnete Anfangsbuchstaben der Kapitel – von A bis Z.
Bastian fühlt sich magisch angezogen. Er klaut das Buch und versteckt sich damit auf dem Speicher der Schule. Und beginnt zu lesen. Die rote Schrift erzählt dabei, was er in der echten Welt erlebt. Die Kälte auf dem Speicher, die Geräusche vom Schulflur. Die Gedanken an den Vater, der seit dem Tod der Mutter so in sich gekehrt ist.
Die grüne Schrift erzählt die Geschehnisse in Phantásien. Und genau so ist diese Geschichte: phantastisch. Die Phantasie, die Michael Ende bei der Schilderung der zahlreichen Lebewesen hat, die Phantásien bevölkern, ist großartig. Ende entführt den Leser und die Leserin, führt in weg vom Alltag in eine Art Märchenland.
Nur: Dieses ist bedroht. Die Kindliche Kaiserin ist krank. Und nur ein Menschenkind kann sie – und Phantásien – retten. Denn solange sie krank ist, wird das Land vom Nichts verschlungen, Stellen „auf die man nicht hinsehen konnte, ohne das Gefühl zu haben, erblindet zu sein.“
Der junge Krieger Atréju macht sich, unterstützt vom Glücksdrachen Fuchur, auf den Weg, die Grenze Phantásiens zu finden, um den Retter der Kindlichen Kaiserin ausfindig zu machen. Denn die Rettung dieses Landes ist auch wichtig für die Menschenwelt.
“´Aber ist es denn wahr`, wollte Atréju wissen, ´was Gmork, der Werwolf, über die vernichteten Geschöpfe Phantásiens sagte, daß sie zu Lügen in der Welt der Menschenkinder werden?` ´Ja, es ist wahr`, erwiderte die Kindliche Kaiserin, und ihre goldenen Augen wurden dunkel, ´alle Lügen waren einmal Geschöpfe Phantásiens. Sie sind aus dem gleichen Stoff – aber sie sind unkenntlich geworden und haben ihr wahres Wesen verloren.“
Das Buch ist quasi in zwei Teile gegliedert: Jener der Suche Atréjus, und jener, in dem Bastian direkter Teil der Geschichte wird. Ich finde den ersten Teil, mit all seinen neuen Figuren, diesen wundervollen Ideen, fesselnder. Im zweiten Teil durchläuft Bastian eine Metamorphose, die ihn zunächst als Haupt-Protagonisten unsympathisch macht, dann aber zu einem – natürlich – guten Ende führt. Wie im Märchen. Denn nichts anderes ist „Die unendliche Geschichte“, ein Märchen – auch und vor allem – für Erwachsene!