Fred muss das Fest für den Tag der Deutschen Einheit organisieren. Mit Grillwürstchen und Servietten in deutschen Farben. In Guatemala, wo sie derzeit als Botschafterin stationiert ist. Doch es ist egal, wo. Die Länder sind austauschbar, das Fest und die Worte dazu immer gleich: Wichtige Partnerschaft der beiden Staaten, auf weiterhin so fruchtbare Beziehungen, guten Appetit.
Fred, eigentlich Friederike Andermann, ist eine nüchterne Frau, die zu wenig Urlaub macht („Es war ein Gesetz, dass die größte Scheiße zu Hause immer dann passierte, wenn man im Urlaub war. Wohnungseinbrüche, Wasserschäden, Untreue, Rücktritte, Putschversuche, all das passierte, während man sich irgendwo entspannte.“) und zu viel beruhigende Worte verliert, wie die Kollegen um sie herum.
“´Und was haben Sie dazu gesagt?`, fragte ich so gelassen, wie es mir gerade noch möglich war. ´Was ich immer sage: dass das keine Möglichkeit ist. Dass wir da nicht helfen können, gar nicht helfen dürfen. Dass wir ihn aber auch nicht aufhalten können und wenn, dann bitte in Richtung Westen, auf gar keinen Fall Richtung Osten.` ´Das ist das, was Sie immer sagen?`Christoph sah mich schweigend an. Nichts an dieser Antwort war falsch, sie war für mich bloß Ausdruck der totalen Kapitulation.“
Inzwischen ist sie Konsulin in Istanbul, nachdem die Entführung einer Deutschen in Guatemala – Tochter einer einflussreichen Verlegerin – kein gutes Ende nahm. Die Herausforderungen in der Türkei sind ungleich größer: Ein junger Doppelstaatler, der seine Mutter im Krankenhaus besuchen will und nicht mehr ausreisen darf. Die Mutter, bei deren Prozess es ein Erfolg ist, wenn er vertagt wird. Ein deutscher Journalist, der über deutsche und türkische Geheimdienste recherchiert und auf der Fahndungsliste landet. Fred fühlt sich in allem immer hilfloser.
„´Es sind nicht die Nerven`, sagte ich. ´Die Nerven sind okay, glaub mir.` Manchmal war mir, als wären mein aufrechter, eigentlich steifer Gang, meine ständig verspannten Schultern, dieser ganze harte Schmerz im Körper nur Nebenwirkungen meines Nervenkostüms, dieser Rüstung, die ich nicht außen, sondern innen trug.
´Ich verliere nur die Geduld`, erklärte ich. ´Als hätte ich nicht mehr die Kraft, zu warten.` (…) ´Eine Diplomatin ohne Geduld ist berufsunfähig`, stellte Philipp mit all seiner Nüchternheit fest. ´Notfalls bleibt mir noch die Resignation`, sagte ich. ´Damit schaffe ich es bis zur Rente.`“
Das Buch ist weniger deprimierend, als die Zitate es vermuten lassen. Aber es zeigt anschaulich die Chancen und Grenzen von Diplomatie – eher die Grenzen. Es wirkt gut recherchiert. Und ich mag Lucy Frickes Sprache.
“´Ich würde hier nicht beim Tee philosophieren, wenn Meral da oben mit ihrem Leben kämpfen würde. Sie schläft, sie braucht Ruhe, aber, wie heißt es im Deutschen so schön: Sie kommt durch.` Elif lächelte. ´Eine merkwürdige Sprache, fand ich schon als Kind. Als wäre das Überleben eine enge, zugeparkte Gasse oder nur ein Ort, durch den man fährt, ohne anzuhalten.` ´Oder eine überlastete Hotline`, fügte ich hinzu. ´Sehr hübsches Bild`, sagte Elif. ´Das merke ich mir.`“
“Die Diplomatin“ liest sich schnell und angenehm runter. „Es hat genau die richtige Kapitellänge“, sagte meine Kollegin, „eines kann man immer noch dranhängen.“ Ich habe das Buch gern gelesen, wenngleich ich vom Ende etwas enttäuscht bin. Die letzten Seiten wirken arg konstruiert, da wäre mir persönlich ein offenes Ende lieber gewesen – das gab auch einen halben Punkt Abzug. Trotzdem bleibt „Die Diplomatin“ lesenswert!