“Bis sie hinaufgestiegen war und in der Bibliothek durchs Fenster schaute, war die Straße voll von ihnen. Trommlerjungen gaben den Rhythmus vor, doch die Soldaten gingen ungezwungen daher, schwatzten, lachten und sahen ganz und gar nicht militärisch aus. Emily schwante nichts Gutes. (…) Und dann waren es so viele, dass sie auf der Straße keinen Platz mehr fanden und sich über die Vorgärten ausbreiteten wie ein über die Ufer tretender Fluss. Weiße Planwagen, von Maultieren gezogen, kamen in Sicht, (…) und hinter ihnen Munitionswagen.“
E.L. Doctorow erzählt die Geschichte des Marschs anhand zahlreicher Einzelschicksale, was zur Folge hat, dass wahnsinnig viele Namen in diesem Buch auftauchen, es aber leider kein Übersichtsregister gibt. Das wäre vor allem dann hilfreich, wenn man das Buch nicht in einem Rutsch durchliest. So muss der Leser immer wieder nachdenken oder zurückblättern um nachzusehen, wer der Betreffende gerade war, um den es in dem Kapitel geht.
Einige Charaktere aber bleiben sofort haften, sind einem ans Herz gewachsen. Die junge Pearl etwa, eine weiße Negerin, die aus der Sklaverei befreit wird und durch ihre stolze Haltung und ihren Willen recht gut durch das neue, das freie Leben kommt. Mattie Jameson, ihre Stiefmutter und einstige Besitzerin dagegen wird allmählich verrückt, aus Sorge um ihre Söhne. Sie ist eher hilflos, angesichts des Wandels der Geschichte.
“Mattie wusste nicht, wie Fieldstone, wenn sie einmal zurückkehrten, je wieder in Gang kommen sollte, wo John doch sämtliche Arbeitskräfte verkauft hatte. Natürlich wusste sie, dass es vielleicht nie wieder Sklaven geben würde, aber ihr war nicht klar, wie sich ohne sie irgendetwas bewerkstelligen ließe. Und wenn sie sich nun vorstellte, der Krieg sei vorüber und sie kämen wieder nach Hause, dann waren in ihrer Vorstellung die Sklaven meistens noch da.“
Da sind Arly und Will, zwei aus dem Gefängnis befreite Südstaatler, die sich zur Tarnung erst in die blaue Uniform der Unionsarmee werfen, dann in das Outfit eines offiziell akkreditierten Kriegsfotografen.
Da ist der britische Kriegsberichterstatter Hugh Pryce, der zunächst eine zweifelhafte Freude an den Geschehnissen zu haben scheint, die er hautnah miterleben kann, quasi als „embedded journalist“. Bis er dem Ganzen doch ZU nahe kommt, er sich für seinen Beobachtungsposten den falschen Baum aussucht.
“Der Krieg hatte ihn eingeholt. Reihenweise kämpften unter ihm Soldaten Mann gegen Mann, rangen einander zu Boden, fuchtelten mit Messern oder Bajonetten, schwangen Gewehre über den Köpfen, brachten, in Verzweiflung vereint, aus ihrem Innersten Töne hervor wie die Akkorde einer Kirchenorgel. Nie war er dem Krieg näher gewesen also diesem Moment, und all sein reporterisches Beobachtungsvermögen gerann zu dieser einen entsetzlichen Ahnung einer vorsintflutlichen Katastrophe. Hier holte ihn nicht der Krieg als Abenteuer ein, nicht der Krieg um einer ernsten Sache willen, sondern Krieg in seiner reinsten Form, ein sinnloser, von jeder Sache, jedem Ideal oder moralischen Prinzip abgelöster Massenwahn.“
Die Sinnlosigkeit wird auch General Sherman bewusst, als der Krieg zu Ende ist. Für mich die zentrale Stelle des Buchs:
“Und nun münden die gesamten letzten vier Jahre in nichts anderem als einer Parade, und in Washington wird es genauso werden. Wir sind die ganze Zeit nur auf eine Parade für die Politiker zumarschiert.“
Diese Parade hat es tatsächlich gegeben, bevor die Soldaten dann „aus dem Krieg“ entlassen wurden. Ein eindringliches, gut recherchiertes Buch, ein Anti-Kriegs-Epos, das dennoch Hoffnung macht auf Liebe und Freiheit trotz grausamer Zeiten, und das ein wichtiges Kapitel, vielleicht das wichtigste, der amerikanischen Geschichte wiederspiegelt.