Der Garten über dem Meer

Mercè Rodoreda

Seiten: 223
Verlag: Berlin Verlag
Erscheinungsjahr: 2014
ISBN-Nummer: 978-3-8333-1054-6

Erneut ein Buch, das ich ohne den Lesekreis nie gelesen hätte. Ich bin nicht sicher, ob ich das bedauern würde.

Ein Buch, das – wie der Titel es verspricht – von der Atmosphäre lebt. „Der Garten über dem Meer“ – da hat man sofort ein Bild im Kopf. Und dieses Bild trägt einen durch das Buch hindurch. Passenderweise wird die Geschichte aus Sicht des Gärtners erzählt, was zwei Effekte hat: das Atmosphärische zu bedienen, und eine gewisse Distanz zu wahren zu dem, was geschieht.

„Auf beiden Seiten des Eingangstors wuchsen Kletterrosen. Nicht die mit den weißen Blüten, die Senyoret Francesc mich in Kübeln hatte pflanzen lassen. Die Rosenstöcke zu beiden Seiten des Eingangstors, die sich ein wenig zur Straße hin neigten, hatten viele Blüten, aber die taugten nichts. Sie ließen schnell die Köpfe hängen und verwelkten in der Vase sofort; es waren keine Schnittrosen, sondern baumartige Rosen, die an der Wand hochkletterten. Aber eines muss man sagen: Sie blühten wie besessen. Das ganze Jahr über. Sogar im November waren sie noch emsig. Und das war ja auch ihre Aufgabe.“

Sechs Sommer lang verbringen „die Herrschaften“ rund um die Senyoret Francesc in ihrem Anwesen am Meer, nahe Barcelona. Nur in diesen Sommern geschieht die Handlung: Viele Personen, die durch den Garten flanieren, Feste feiern, im Meer schwimmen. Dabei bleiben die Personen schattenriss-artig. Es gibt viele Namen, aber wenig Beschreibungen. Nur von der Köchin bekommt man einen Eindruck, sie allein wird beschrieben – in der durchaus schönen Sprache des Buchs, wenngleich manche Vergleiche etwas konstruiert und manche Bilder schief sind.

„Den Geruch in der Küche kann ich nicht erklären: wie ein schwerer Duft von Zucker und Butter und köstlichen Gerichten, der verschwand, wenn sie Kaffee kochten, und wiederkam, sobald der Kaffee fertig war. Das Licht, das von oben einfiel, machte alles sehr gemütlich. Wenn ich die Küche betrat, hatte ich immer das Gefühl, ich wäre im Bauch einer Schwalbe. Für Quima war diese Küche wie ihr Wohnzimmer. (…) Ihre Beine waren ein wenig krumm und ziemlich dünn, sie hatte große Brüste, die aussahen, als hätte sie ihr jemand für eine Weile ausgeliehen, und ihr Gesicht war rund und weiß mit leuchtend roten Wangen, weil sie so viel Zeit am Herd verbrachte. Ein Gesicht fast wie das einer Nonne, mit einem fröhlichen und einem traurigen Auge.“

Den Spannungsbogen nährt die Autorin durch eine unerfüllte Liebesgeschichte. Die Senyoret Rosamaria und Eugeni sind zusammen aufgewachsen, Nachbarskinder, die sich einander versprochen hatten. Dass sich Rosamaria dann für den reichen Francesc entscheidet, bricht Eugeni. Er verschwindet – und will nach fünf Jahren wiederkommen. Hier setzt die Erzählung an – denn als auf dem Grundstück neben dem Garten über dem Meer eine Villa gebaut wird, zieht niemand anderes als Eugeni ein – er und Rosamaria begegnen sich wieder.

Im Nachwort lobpreist Roger Willemsen die Erzählung, die er auch herausgegeben hat. Ich hatte gehofft, das Buch dadurch eher zu verstehen, doch es bleibt merkwürdig vage. Stellenweise bin ich vom Erzähler genervt, der sich einerseits in nichts einmischen will, dabei aber andererseits geheimnistuerisch ist, durch sein Schweigen verhindert, dass Menschen zueinander finden (Eugeni wird dadurch seinen Eltern nicht mehr begegnen, die ihn verzweifelt suchten).

Willemsen bezeichnet das als richtige Entscheidungen. „Seine letzte gute Tat wird eine Lüge sein“, schreibt er, was für mich ein Widerspruch ist. Und so bekomme ich Mitleid für die Belogenen und Wut auf den Gärtner, bin aber durchgehend eingelullt in die Atmosphäre des Gartens, den ich liebe, in dem ich spazieren und in der Erde buddeln möchte, von dem aus ich die Aussicht über das Meer genießen und die Menschen in Nachbars Garten beobachten möchte – genau so, wie der Gärtner es eben tut.

Die Handlung selbst geht mir ihm Atmosphärischen verloren, durch die Distanz des Gärtners und die schemenhafte Zeichnung der Charaktere bin ich zu weit weg. Schade.

Da ich dem komischen, schalen Buch um „Grischa“ und seinem Dope-Handel in der DDR drei Sterne gegeben habe, bekommt „Der Garten über dem Meer“ dreieinhalb. Denn schlechter ist es auf keinen Fall – und die Atmosphäre ist allein einen halben Stern wert. Mehr Nachhall hätte es für mich allerdings, tatsächlich selbst einen Spaziergang zu machen, den Vögeln zu lauschen, die Pflanzen zu bewundern.

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