Die ersten 100 Seite dachte ich jedoch: Handelt das Buch nur von einem einzigen Tag? Von einem einzigen Eishockey-Spiel? Oder vielleicht zweien?
Ja, auch davon handelt dieses Buch: von Eishockey und von zwei Spielen. Aber dabei geht es um viel mehr: Um Teamgeist, Freundschaft, Loyalität, Moral und Zweifel, um Zusammenhalt, der so viel einfacher ist, wenn man sich auf die Seite der einen, der vermeintlich richtigen Meinung stellt, die immer lauter ruft als die vielschichtige, mit der man sich auseinandersetzen müsste. Davon, wie jeder sein ganz eigenes Motiv hat, den einfachen Weg zu gehen. Und von den Konsequenzen, die es haben kann, Charakter zu beweisen und gegen den Strom zu schwimmen.
Beartown ist ein kleiner Ort, dessen Bewohner – egal ob von der reichen oder der heruntergekommenen Seite des Städtchens – für nichts anderes leben als Eishockey. Die Jugendmannschaft hat es bis ins Halfinale der Meisterschaft geschafft, das erste Mal seit Jahrzehnten, und es geht um alles: für die Spieler um ihre Zukunft, ja: Karriere, für die Manager um Ruf und Reputation, für die Sponsoren um Geld – und für den Ort um nichts weniger als die Zukunft. Wird diese Meisterschaft gewonnen, soll Geld fließen für ein Hockey-College, für Infrastruktur, für Gründe, nicht wegzuziehen. Beartown könnte dem eigenen Aussterben, der eigenen Nichtigkeit, entkommen.
„What can the sport give us? We devote our whole lives to it, and what can we hope to get, at best? A few moments … a few victories, a few seconds when we feel bigger than we really are, a few isolated opportunities to imagine that we’re … immortal. And it’s a lie. It really isn’t important.“ (…)
„The only thing the sport gives us are moments. But what the hell is life, Peter, apart from moments?“
Es ist ein Moment, eine falsche Entscheidung, die dem Buch eine neue Richtung gibt. Zwei Jugendliche, Hoffnungsträger, sind involviert, nur der eine ist für die Zukunft des Ortes wichtiger.
„So the first thing that happens in a conflict is that we chose a side, because that’s easier than trying to hold two thoughts in our heads at the same time. The second thing that happens is that we seek out facts that confirm what we want to believe – comforting facts, ones that permit live to go on as normal. The third thing is that we dehumanize our enemy. (…) It doesn’t take long to persuade each other to stop seeing a person as a person. And when enough people are quiet for long enough, a handful of voices can give the impression that everyone is screaming. „
In seiner Sprache hat Fredrik Backman philosophische Anwandlungen. Er stellt gerne Fragen zu Beginn eines Kapitels, die er dann am Ende als Konklusion noch einmal aufbringt. Das kann nerven, aber es funktioniert und ist in seiner Argumentation und beispielhaften Herleitung immer passend.
Es ist ein bisschen anstrengend, zu Beginn die vielen Charaktere kennenzulernen – hier sollte man keine lange Lesepause machen. Spätestens nach der Hälfte des Buchs wollte ich es nicht mehr weglegen. Ich war gefangen von den Mechanismen, für die Beartown als kleiner Ort nur beispielhaft für jede Gesellschaft steht. Es ist eines der raren Bücher, die mir in Erinnerung bleiben werden – ein klarer Fünfer.
Backman hat eine Fortsetzung geschrieben, „Us against you“, die gerade erschienen ist. Ich bin unschlüssig, ob ich mich rantrauen soll. „Beartown“ ist in sich schlüssig. Will ich wissen, wie die Geschichte des Ortes und seiner Bewohner weitergeht? Ich sehe die Gefahr, dass Backman schlicht einen weiteren Test für den Zusammenhalt der Gesellschaft skizziert. Andererseits: wie geht es weiter in einem Ort, der den Zusammenhalt gerade verloren hat? Das könnte – auch vor der politischen Diskussion über den vermeintlich bröckelnden Zusammenhalt der Gesellschaft – durchaus spannend sein…