Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Thommie Bayer

Seiten: 281
Verlag: Piper
Erscheinungsjahr: 2012
ISBN-Nummer: 978-3-492-30253-1

Ein zunächst etwas irreführender Titel, der sich einem erst nach dem Ende der Lektüre erschließt. Quasi ein Meta-Titel, der mich nicht neugierig gemacht hat, aber der Autor: Thommie Bayer hat mich bislang selten enttäuscht. Dies ist nun fast mein liebstes Buch von ihm!

Michael, Thomas, Bernd und Wagner waren zu Internatszeiten Freunde. Das waren sie vor allem, weil ihre Lehrerin Emmi sich immer wieder für sie eingesetzt und ihnen vertraut hat. Weil Emmi an sie glaubte, haben sie sich damals zusammengerauft.

„Emmi Buchleitner hatte die richtigen vier Jungs zusammengebracht, die nicht erst lang und breit einen Kodex für ihren Umgang miteinander vereinbaren mussten. So verschieden sie auch als Charaktere waren, der milde und zurückgenommene Michael, der selbstsichere Thomas, der irrlichternde Bernd und der radikale Wagner, die Übereinkunft, dass man die anderen nicht löcherte oder sich ihnen aufdrängte, hatten sie mitgebracht, die musste nicht mehr ausgehandelt werden.“

Zwanzig Jahre ist das her und als sich die vier an Emmis Grab wieder begegnen, ist es das erste Mal seit damals.

“Thomas gab wie früher den Ton vor. Er summte ein A, ein Fis und ein D und zählte ein. Es klang nicht so wie damals, aber doch erstaunlich sicher, so sicher, dass Emmi es zu schätzen gewusst hätte (…). Nach dem letzten Ton blieben sie einen Moment stehen, und sie waren nicht mehr vier Fremde wie noch wenige Minuten zuvor, sondern eine Einheit wie damals, und erst als sie spürten, dass langsam wieder ein Blatt zwischen sie passen würde, wandten sie sich zum Gehen.“

Das Gefühl ist rasch wieder verflogen. Beim anschließenden Beisammensitzen treten doch zu deutlich die Charakterköpfe zum Vorschein, die sie schon immer waren und die sich noch verfestigt haben. Trotzdem lädt Michael die anderen drei zu sich nach Venedig ein, wo er inzwischen lebt. Er ist Komponist, Songwriter, vor allem für eine äußerst erfolgreiche Sängerin. Sie hat ihn zu dem gemacht, der er ist – und weiß davon nichts. Denn dass er der Mann ist, der all ihre Lieder schreibt, soll niemand wissen.

“Wenn er nach seinem Beruf gefragt wurde, behauptete er, Schriftsteller zu sein, und wurde sofort in Ruhe gelassen. (…) Nannte er den, wurde das Thema gewechselt, und Michaels Gegenüber begann, von sich selbst zu reden.

Die meisten Menschen reden am liebsten über sich selbst und brauchen nur ein Ohr, das ihnen zuhört, und die meisten Menschen merken nicht, ob das Zuhören nur vorgetäuscht wird, weil sie nicht auf Fragen warten, an deren Qualität sie ermessen könnten, was das Gegenüber kapiert hat oder wissen will, sie reden lieber weiter, weil es so schön ist, sich einzubilden, man stehe im Mittelpunkt und sei ein interessanter Mensch.“

Thommie Bayer erzählt die Geschichte dieser Freundschaft – und was aus ihr wurde – meist aus Sicht von Michael, aber nicht nur. Ich mag es sehr, wenn Situationen aus verschiedenen Perspektiven geschildert werden – und hier werden sie manchmal sogar erst nach einigen Kapiteln „aufgelöst“. Und wieder einmal zeigt sich, wie hilfreich Perspektivenwechel – nicht nur in der Literatur – sein kann.

Ja, das Buch ist eines über die Liebe, aber eher unterschwellig. Es ist ein Buch über das, was Liebe mit einem Menschen macht. Wie unterschiedlich Liebe empfunden und gelebt wird – und wie unterschiedlich man versucht, über sie hinweg zu kommen. Vor allem das.

Nicht erzählt in Form einer klassischen Liebesgeschichte, sondern anhand einer Männerfreundschaft, die keine mehr ist. Ein Buch über Liebe und Freundschaft, ein Buch, das – anders als Donna Leons Commissario Brunetti – Lust macht, Venedig jenseits der Tourismusströme zu erkunden, ein Buch über Schönheit und Musik.

“Desinteresse ist Gift für Schönheit. So wie Gerede jede Musik zerstören kann, macht stumpfer Blick die Kunst banal.“

Ich hab dieses Buch wahnsinnig gern gelesen, eines, auf das ich mich während der Lesepausen gefreut habe, weiterzulesen. Und das, obwohl die meisten Charaktere nicht wirklich sympathisch sind. Ich mochte die Sprache, die Erzählung, das Setting. Schade, dass es schon zu Ende gelesen ist!

Ausgewählte Bücher:

Card image cap

Drei Männer im Schnee


Erich Kästner
Card image cap

Das Geschenk


Gaea Schoeters