Simon Beckett wurde bekannt durch seine Bücherreihe um David Hunter, der z.B. in „Die Chemie des Todes“ als forensischer Anthropologe Kriminalfälle aufklärt. Nach diesen Erfolgen wurden weitere Bücher veröffentlicht, „Obsession“ etwa, die er allerdings vor seinem Durchbruch geschrieben hatte.
Ich vertrete die Ansicht: Es hat seine Gründe, warum ein Buch, das vor einem Bestseller geschrieben wurde, keinen Durchbruch brachte. Man will halt mit der erneuten Übersetzung oder Veröffentlichung anknüpfen an Erfolge, die es davor nicht gab. Es ist also m.E. verlorene Zeit, solche Bücher zu lesen.
“The Lost“ aber schrieb Simon Beckett lange nach der erfolgreichen Hunter-Reihe (die ich übrigens gern gelesen habe). Meine Hoffnung war also, dass es vielleicht gar nicht so schlecht ist. Die Hoffnung wurde enttäuscht.
Jonah Colley, Polizist, wird eines Abends von seinem alten Freund und Kollegen Gavin angerufen: Er brauche Hilfe, er vertraue niemandem, Jonah solle um Mitternacht in ein Lagerhaus am Schlachter-Kai kommen, allein. Nomen est Omen, man kann sich denken, was passiert: Jonah findet drei Leichen, wird selbst angegriffen und sieht, wie die Leiche Gavins weggetragen wird. Sie bleibt verschwunden.
Der ermittelnde Inspektor Fletcher hat Jonah von Anfang an in Verdacht; noch mehr, als ein Altbekannter in den Blick der Untersuchungen rückt: Owen Stokes. Er war vor zehn Jahren verdächtig, den Sohn von Jonah entführt und getötet zu haben. Etwas, das Jonah nur schwer überwunden hat. Bis heute weiß er nicht, was damals passiert ist. Seine Hoffnung war, Gavin hätte neue Erkenntnisse.
Simon Beckett hat in „The Lost“ einen etwas merkwürdigen Schreibstil. Erst bleibt er Kapitel-lang bei Jonah, erzählt in Rückblenden die Geschehnisse von damals, als der vierjährige Sohn verschwand. Plötzlich, nach einem Drittel des Buchs, springt er zu einer Journalistin, die im Fall der Schlachter-Kai-Morde recherchiert.
“´Hello?` Her own voice startled her, ringing out before quickly dying. Oh, this is stupid. But someone was obviously down here. So where were they? Daly had visited sink estates, wandered alone through riots and interviewed gang members. None of them had fazed her, yet now her usual assurance wavered. ´If there’s somebody there, say something.` She let her voice echo to silence before reaching into her bag. Grabbing up the phone with one hand, with the other she gripped the small bottle of spray perfume she always carried. From the distance it could pass as a pepper spray, and it would do a similiar job if she sprayed it in the fucker‘s face. ´I‘m warning you, I’ve got mace,` she said, fumbling to start the video recorder on her phone. `And I‘m live-streaming this. If you try anything, you’re going to be all over social media! Your call!`
Beckett erlaubt Daly sogar, Jonah näher zu kommen – um sie dann doch zu opfern. Ein Umstand, den ich eigentlich okay finde – normalerweise sterben keine Charaktere, zu denen der Leser eine Beziehung aufbaut. Aber hier wirkt es beliebig, als wäre der Charakter nur dafür überhaupt eingeführt worden.
Natürlich wartet am Ende eine „Überraschung“, denn selbstverständlich ist nicht derjenige der Täter, den Jonah die ganze Zeit jagt. Aber alles wirkt konstruiert, die Figuren sind eben nur das: Figuren. Und auch wenn „The Lost“ als „The first Jonah Colley-Thriller“ anscheinend der Beginn einer neuen Buchreihe sein soll, werde ich von weiteren Simon Beckett-Büchern vorerst die Finger lassen.