Ein bisschen spooky geht es schon zu, im „Gotteshaus“ – und zwar im wahrsten Wortsinn.
“Sie schaut nach, worüber sie gestolpert ist. Es ist ein Grabstein, der wohl schon vor Zeiten umgefallen ist und mittlerweile von Wind, Regen und Erde weitgehend recycelt wurde. Staub zu Staub. Jedenfalls ist selbst an den moosfreien Stellen die Inschrift kaum mehr zu erkennen. Schönes Motiv also. Sie hebt die Kamera und will scharfstellen, aber irgendwie bekommt sie den Grabstein nicht fokussiert. Sie probiert es mit etwas, das weiter entfernt liegt – und aus dem dunklen Sucher springt sie ein Bild an, bei dem ihr Verstand chancenlos ist. Ein Mädchen. Ein kleines Mädchen, nur wenige Schritte vor ihr. Es ist nackt. Und es brennt, lichterloh. (…) Es fehlen sowohl die Arme als auch der Kopf.“
Gleich vorweg: Diese Szene wird nicht aufgelöst. Sie soll wohl nur eine gewisse übersinnliche Würze in die Geschichte bringen, die in einem kleinen Kaff im Süden Englands spielt, in und neben einer Kirche. Hauptperson und Ich-Erzählerin ist die Pfarrerin Jack Brooks, sie wird hierher versetzt und kommt mit ihrer 15-jährigen Tochter Flo.
Chaple Croft birgt einige Geheimnisse und einige unschöne Geschichten. Im 16. Jahrhundert wurden hier acht Protestanten auf dem Scheiterhaufen verbrannt, woran die jährliche Tradition der „Brennenden Mägdelein“ erinnern soll.
Und vor dreißig Jahren verschwanden zwei Teenager-Mädchen spurlos. Das Dorf geht davon aus, dass sie gemeinsam weggelaufen sind. Sie wurden nie wieder gesehen, niemand weiß, was mit ihnen geschah.
Das ist die Ausgangslage für eine Geschichte, der Jack Brooks nach und nach auf den Grund geht, während sich ihre Tochter mit dem Außenseiter Wrigley anfreundet. Zum Unmut ihrer Mutter, ihr kommt Wrigley nicht vertrauenswürdig vor. Überhaupt wird „Das Gotteshaus“ dominiert von zwielichtigen, verdächtigen oder grausamen Gestalten. Jugendliche, die Flo auflauern, Kirchenmitarbeiter, die etwas zu verheimlichen scheinen, befreundete Pfarrer, deren ständige gute Laune zweifelhaft wirkt. Nur eine alte Dame glaubt, die Zusammenhänge zu kennen: Dass nämlich Jacks Vorgänger als Pfarrer der Gemeinde mitnichten Selbstmord begangen habe – es war Mord. Jack „ermittelt“.
“Das Gotteshaus“ ist ein klassischer Thriller, den man lesen kann – aber man verpasst auch nichts, wenn nicht. Ich hatte leider sehr früh eine Ahnung, wie die Geschichte zu Ende geht, der vermeintliche Plot Twist am Ende des Buchs hat deshalb eher als Bestätigung fungiert.
Was mir aber durchaus gefallen hat, waren philosophisch anmutende Passagen, die zum Nachdenken anregen. Auch wenn das für mich nicht zwingend eine Lese-Empfehlung wäre.
“Ich erinnere mich an eine Frau in meiner Gemeinde, die gerade ihren Mann verloren hatte. Und was setzte ihr am meisten zu? Nicht die Nachricht von seinem Tod oder die Beerdigung mit dem unvermeidlichen Trubel, sondern ein Amazon-Päckchen mit ein paar Büchern, die ihr Mann zu Lebzeiten vorbestellt hatte. `Ich weiß noch, wie sehr er diese Bücher haben wollte.´ (…) Aber so ist es wohl. Der Mensch ist eine zukunftsorientierte Spezies und denkt heute immer schon an morgen. Besorgt sich Konzertkarten im Vorverkauf, reserviert beizeiten einen Tisch im Restaurant, sichert sich bei Urlauben auch gern den ein oder anderen Frühbucherrabatt. Und rechnet nicht mal entfernt damit, dass alle diese Ansprüche verfallen könnten, weil er vorher aus dem Spiel genommen wird. Und das, was so planvoll aussah, nur eine Wette auf die Zukunft ist – und jeder neue Tag ein Sprung ins Ungewisse.“


