Die ganze Geschichte ist im Prinzip mit dem Titel erzählt. Es geht um Felix Krull. Er nimmt eine andere Identität an – und wird damit zum Hochstapler. Nur das Wort „Bekenntnisse“ will sich mir nicht recht erschließen; laut Duden ist ein Bekenntnis ein Eingeständnis, eine Lebensbeichte – und das impliziert eine gewisse Form von Einsicht oder gar Reue. Beides ist Felix Krull nicht gegeben.
Er ist von der ersten bis zur letzten Seite zu hundert Prozent von sich überzeugt und von sich eingenommen. Es gibt kaum etwas, das er laut eigener Schilderung – und nichts anderes ist diese Geschichte – nicht könnte. Obendrein ist er nicht nur attraktiv, sondern ein Adonis (ebenfalls laut eigener Darstellung) und damit sind alle – a.l.l.e. – Frauen ihm verfallen. Kurz: Ein sympathisches Kerlchen. Nicht.
„Ein phantastisches Kind, gab ich mit meinen Einfällen und Einbildungen den Hausgenossen viel Stoff zur Heiterkeit. Ich glaube mich wohl zu erinnern, und oft ist es mir erzählt worden, dass ich, als ich noch Kleidchen trug, gerne spielte, dass ich der Kaiser sei, und auf dieser Annahme wohl stundenlang mit großer Zähigkeit bestand.“
Nichts anderes im Prinzip tut er im Erwachsenenalter. Zunächst als Saalkellner in einem hochklassigen Pariser Hotel beschäftigt und durch einen Diebstahl zu viel Geld gekommen, verbringt er seine freien Abend in feinem Zwirn in feinen Lokalitäten und lässt sich selbst bedienen.
„Es lief dies, wie man sieht, auf eine Art von Doppelleben hinaus, dessen Anmutigkeit darin bestand, dass es ungewiss blieb, in welcher Gestalt ich eigentlich ich selbst und in welcher ich nur verkleidet war: wenn ich als livrierter Commis de salle den Gästen des Saint James and Albany schmeichlerisch aufwartete, oder wenn ich als unbekannter Herr von Distinktion, der den Eindruck machte, sich ein Reitpferd zu halten, (…) mich bei Tisch von Kellnern bedienen ließ, deren keiner, wie ich fand, mir in dieser meiner anderen Eigenschaft gleichkam. Verkleidet also war ich in jedem Fall, und die unmarkierte Wirklichkeit zwischen den beiden Erscheinungsformen, das Ich-selber-Sein, war nicht bestimmbar, weil tatsächlich nicht vorhanden.“
Er wechselt zwar – noch – nicht die Identität, aber den Anschein. Erst, als einer der Hotelgäste ihn in dieser anderen Aufmachung erkennt, ergibt sich die Gelegenheit auch des Identitätswechsels.
300 Seiten der knapp 450 sind da schon rum, und außer einer formidablen Szene, in der er es bewerkstelligt, bei der militärischen Eignungsprüfung ausgemustert zu werden, plätschert die Erzählung so dahin. Es ist sehr zäh. Und mit der neuen Verkleidung und dem neuen Namen des Protagonisten steigt meine Hoffnung, dass die Geschichte nun endlich Fahrt aufnehmen würde. Dem ist nicht so.
Der Wikipedia-Artikel zu diesem Buch ist ausgesprochen lang und würde mir sicherlich viel Interpretationen und Erklärungen liefern. Die wichtigste für mich ist: Das Buch ist ein Fragment. Es bildet nur den ersten Teil der Lebensgeschichte ab, weitere hatte Thomas Mann geplant, aber nicht mehr begonnen.
Das zumindest versöhnt mich mit dem Ende, das gefühlt mitten in der Geschichte kommt und offen lässt, wie er eigentlich enttarnt wird – oder weshalb er sonst im Gefängnis sitzt, wo er dieses sein Leben niederschreibt.
Ich wollte diesem Buch einen halben Stern mehr geben als Moby Dick, weil besser ist es auf jeden Fall. Aber zweieinhalb Sterne für einen Thomas Mann?? Das bringe ich irgendwie auch nicht über‘s Herz. Und die Sprache in diesem Buch habe ich wirklich sehr gemocht. Sätze wie diese sind wundervoll: „Der Schaffner, schon höher an Jahren, erbat sich die Erlaubnis zum Eintreten durch sachtes Klopfen.“ Oder „Es war nicht glaubwürdig, untunlich, und dennoch getan.“ Herrlich!
So sind es also doch drei Sterne geworden, obwohl ich selten ein Buch gelesen habe, bei dem ich wie hier alle zehn Seiten auf die Seitenzahl geschielt habe um zu sehen, wieviel, ich schon geschafft habe – was keine Leseempfehlung ist. Doch ich kann nicht behaupten, ich sei nicht vom Autor – bzw. seinem Protagonisten – rechtzeitig gewarnt worden. Auf Seite 40 schreibt er klar, was Sache ist:
“Auf Spannung und Proportion richte ich gar kein Augenmerk und überlasse diese Rücksichten solchen Verfassern, die aus der Phantasie schöpfen und aus erfundenem Stoff schöne und regelmäßige Kunstwerke herzustellen bemüht sind, während ich lediglich mein eigenes, eigentümliches Leben vortrage und mit dieser Materie nach Gutdünken schalte. Bei Erfahrungen und Begegnissen, denen ich eine besondere Belehrung und Aufklärung über mich und die Welt verdanke, verweile ich lange und führe jede Einzelheit mit spitzem Pinsel aus, während ich über anderes, was mir weniger teuer ist, leicht hinweggleite.“